- Kucki 232
Folge 101 - Sorge um Mira

Erste Herbstwoche: Mittwoch
Geburtstag: keiner
Event/Feiertag: keiner
Erzähler/in: Joel
Gestern war ich wieder im Park und diesmal habe ich sogar Miras Telefonnummer bekommen. Ich habe ihr gesagt, dass sie mich immer anrufen kann, wenn was ist. Mira ist wirklich eine ganz Liebe, aber ich merke, dass auf ihr ganz derbe was lastet. Sie weicht mir gerne aus, obwohl sie mittlerweile weiß, dass sie mir alles erzählen kann. Also, was ist mit ihr? Wäre Jingles nicht gewesen, wäre ich nie in diesen Park gegangen. Der Hund ist echt der beste Freund.
Es geht erstmal ans Werk für heute. Ich überlege einen Salat zu machen, den wir letztens in Hauswirtschaft gemacht haben. Habe da gerade Lust zu.

Heute gehen die anderen auch wieder in die Schule. Aurora und Phillip fehlen sehr. Aber am anderen Ende haben wir dann wieder den kleinen Maximilian. Er hat heute Geburtstag und morgen möchte Joshi mit ihm vorbeikommen. Ich freu’ mich schon. Er ist echt süß.
Und dann ist da noch Jingles, die faule Socke, haha.

Nun habe ich Miras Handynummer, aber ich höre nichts von ihr. Gestern haben wir nur kurz getestet, ob auch alles ankommt, aber auf ein „Nacht“ und „Guten Morgen“ reagiert sie nicht. Selbst ein „Alles okay?!“ wird ignoriert. Da hatte sie mir gestern gesagt, dass sie sich abends nochmal meldet.

Hmpf. Aber es wird schon alles gut sein. Sie ist stark. Das habe ich bemerkt. Trotzdem ein Buch mit sieben Siegeln. Eigentlich so wie Melody. Was sie wohl gerade macht? Manchmal muss ich dann doch an sie denken. Vielleicht gehe ich ja mal rüber und spreche mich mit ihr aus. Wir beiden waren beste Freunde und mit ihr habe ich mein halbes Leben verbracht. Es ist doch doof, wenn es so endet.

Die Stimmung hier ist noch nicht ganz wieder da. Wir haben gestern noch viel zusammen gesessen und über die Zeit mit Aurora und Phillip gesprochen. Da wird so einiges fehlen. Zwecks Beerdigung wissen wir immer noch nichts. Benny meldet sich nicht. Verständlich. Selbst ich weiß kaum noch, was sie da drüben machen. Doreen soll wohl wieder schwanger gewesen sein. Mehr weiß ich nicht.

„Mam? Ich komme nachher wieder später. Wollte noch etwas durch den Park. Ist das okay, oder brauchst du mich hier?“

„Nein, ist okay. Denk aber an den Abwasch heute Abend. Heute bist du dran.“
Ich sehe, wie verheult Mam noch ist. Sie sagte gestern, dass es sich komisch anfühlt. Irgendwie hat sie uns, aber irgendwo fühlt sie sich doch einsam, seit ihre Geschwister nicht mehr sind. Da fehlt etwas. Ein tiefes Loch entstand. Vielleicht bringe ich ihr nachher mal was mit. Das wird sie bestimmt freuen.
Doch erstmal geht es in die Schule und dann in den Park. Heute soll es hier den ganzen Tag regnen. So trüb ist dann auch die Stimmung hier.

*****
Wir haben eh keine Hausaufgaben auf und dann kann ich mir hier Zeit nehmen. Ich mache mir Sorgen um Mira, da bislang immer noch nichts kam. Wir haben doch getestet, ob wir auch die richtigen Nummern haben.

Vielleicht ist sie ja auch gar nicht hier und ist zuhause. Würde mich nämlich wundern, wenn sie keines hätte.
Erst finde ich niemanden, doch weiter hinten beobachtete ich ... Mira?! Was hat sie? Sie torkelt. Ist sie das überhaupt? Hm.

Plötzlich kippt sie um. Ich muss schnell hin. Verdammt.

Jede Sekunde mehr kann schon zu spät sein. Jetzt sehe ich auch, dass es wirklich Mira ist. Eben kam ich irgendwie noch mit Herzklopfen hierher. Ja, ich muss gestehen, ich habe mich ein bisschen in sie verliebt. Also denke ich zumindest. Wir haben in den letzten Tagen viel miteinander gesprochen und merken immer mehr, dass wir uns gar nicht so verschieden sind.

Ich beuge mich zu ihr runter und sehe, dass sie noch bei Bewusstsein ist. Das ist schon mal gut. Nur, wie sieht sie aus? Ihre Kleidung ist zerrissen und sie ist dreckig und. Was?! Moment, nein. Das ist wirklich die hübsche Mira in ihrem süßen Sommerkleid? Ich träume wohl gerade.

„Mira? Was ist los? Wie siehst du aus? Was ist passiert? Soll ich dir helfen?“
Jetzt bin ich erst recht in Sorge. Ich nehme meine Hand und möchte ihren Kopf in meine Richtung drehen, aber in dem Moment schreckt sie auf und schaut mich an, als wäre ich der Sensenmann oder sowas. Plötzlich steht sie ganz wackelig wieder auf. Ich wollte doch nur helfen.
„Lass mich“, faucht sie nur.

„Warum bist du überhaupt hier? Musst du mir jetzt jeden Tag hinterherrennen? Was willst du? Wolltest du genau das sehen, oder was?“
Wie bitte? Ihre Worte treffen mich wie ein Schlag.

„Stell dir vor. Ich wohne hier. Toll, oder? Ja, jetzt weißt du es. Ich bin auch eine dieser armen Seelen. Bin halt nur von meinem Fahrrad gefallen gestern. Mir doch egal. Ich komm’ schon klar. Also? Ich will dir das eigentlich ersparen, also geh besser, okay? In eurer reichen und unbeschwerten Familie kann ich so ganz bestimmt nicht punkten.“

Ich stehe auf und schaue ihr dabei ständig in die Augen. Plötzlich wird sie immer leiser, weil sie selbiges tut und jetzt wohl sie diejenige ist, die irritiert ist. Ich versuche cool zu bleiben, denn ich habe in den letzten Tagen eine ganz andere Mira kennengelernt. Aber wohnt sie wirklich hier im Park? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
„Äh, ich. Ähm. Ich ... bin ... hier ... noch ... nicht ... lange ... und ähm ... ich wollte dich ....“

„Nicht abschrecken? Okay?! Also schau mich an. Jetzt siehst du ja, was Sache ist. Warum ich hier bin? Na, weil mich meine Eltern hassen. Juhu. Ich bin voll im Eimer, okay?“

„Und warum hast du mir das nicht eher gesagt? Ich hätte dir doch helfen können. Wieso konntest du das so gut verstecken? Mira, du hast mir bislang schon so viel erzählt.“

„Ich hab da keine Probleme mit. Ganz im Gegenteil. Mein Paps ist Detektiv und hat Kontakte. Deine Eltern können dich doch nicht einfach aussetzen. Warum? Spinnen die? Das ist gesetzlich verboten. Ach menno. Lass mich dir helfen. Bitte.“
Ich möchte sie gerade in den Arm nehmen und ich denke, dass sie jetzt erst recht durch den Wind ist. Ach, ich habe schon so viel durch mit Melody, da haut mich das hier nicht gerade aus den Socken.

„Äh. Echt jetzt? Du gehst nicht?“, nuschelt sie leise aber hörbar vor sich hin.

„Ich stinke nach Mülltonne, da mir die Mülltonne diesmal nicht hold war und ich reingefallen bin. Yippie. Und mein scheiß Fahrrad hat jetzt auch 'ne Acht. Und du haust echt nicht ab?“

„Wow.“

„Warum sollte ich bitte abhauen? Hast du mich ausgeraubt oder sowas? Man, du bist ein nettes Mädchen, okay? Meinst du, da gebe ich so schnell auf? Glaub mir. Ich hab da schon echt was durch und ich bin hartnäckig.“

„Jimmy hat recht. Du bist ein netter Kerl. Er wusste erst nicht, wer du bist und dann hat er dich mit deinem Paps gesehen. Ihr seht euch total ähnlich. Dein Paps hat ihm damals geholfen, als man Jimmys Frau nicht helfen wollte. Nur leider war es zu spät. Er hat echt sein Bestes gegeben.“

„Äh, was? Jimmy kennt Paps? Geholfen?“

„Jimmy hat auch viel mit ihm geredet und dein Paps hat alles gegeben. Hat er nie davon erzählt? Seine Frau war totkrank, aber für Ärzte reichte einfach das Geld nicht und er hat sich dafür eingesetzt, dass sie eine OP bekommt. Ich sag’ es mal so, Joel Duvan. Es tut mir leid, dass ich eben so laut war, aber ich hatte Angst, dass du gehst, wenn du siehst, was wirklich los ist. Ich habe es mir nicht ausgesucht, okay? Aber eines weiß ich. Du bist wie dein Vater. Ein herzensguter Sim.“
Da ist es wieder: Das Gefühlschaos. Jetzt bin ich mal der, der sie in den Arm nimmt.

„Meldest du dich aber jetzt immer bitte, wenn was ist? Ich schaue, was ich machen kann und Paps kann vielleicht auch helfen. Und auch wegen Jimmy. Aber melde dich, wenn was ist, okay?“

Vor Erleichterung kommt sie mir dann schließlich richtig nahe und drückt mich ganz fest.
„Danke“, haucht sie mir ins Ohr.

Ja, sie stinkt gerade wirklich nach Mülltonne, aber das ist mir gerade egal. Geh’ ich nachher duschen und dann gut.
„Und ich bleibe dabei: Du hast schöne Augen.“

Ich mache mir trotzdem Sorgen, da es langsam immer kälter wird. Sie braucht doch auch was zu essen und so und ein warmes Bett. Und was ist da mit ihren Eltern? Wie kann man ein Kind nur so abstoßen? Puh. Nein. Ich muss helfen. Denn:
„Du hast auch schöne Augen. Und nicht nur das. Du bist hübsch und nett und ja.“
Hab ich das gerade wirklich gesagt? Puh. Ich glaube, ich muss gehen, sonst blamier´ ich mich noch vor Nervosität. Ich und eigentlich nervös? Nö. Aber jetzt? DEFINITV!

„Wir sehen uns und du meldest dich bitte. Ich lass’ mir was einfallen“, sage ich, bevor ich mich von ihr abwende.

*****
Zuhause begrüßt mich sofort Jingles. Jetzt wird es Zeit, dass ich mit ihm noch eine Runde drehe. Währenddessen kann ich dann auch nachdenken.
„Na du?! Du hast mich vermisst? Komm her, du kleiner Racker. Wir drehen eine Runde.“

Ich hoffe, es wird heute Nacht nicht frieren. Ich mache mir solche Sorgen. Mit Paps rede ich schon ein bisschen über Jimmy und er bestätigt, dass das ein sehr trauriger Fall war und er leider nicht mehr tun konnte. Als er jedoch erfährt, dass Jimmy auf der Straße lebt, wurde er hellhörig. Auch das mit Mira geht ihm nahe. Auch er möchte sich jetzt mit einklinken.
Als ich nach Hause komme, gönne ich mir ein Bad. Manchmal kullern Tränen und manchmal denke ich an Melody. Aber auch an Mira. Was passiert hier bitte?

Das Gefühlschaos hat mich voll im Griff.

Aber wenigstens in unseren vier Wänden wird es langsam ruhiger, auch wenn uns die Trauer noch sehr ins Gesicht geschrieben steht. Es muss eben weitergehen.
