- Kucki 232
Folge 11 - Die Zwillinge

Shadow ist seit einigen Tagen verschwunden. Er ist ja der Zwillingsbruder von Melody. Die beiden machen es uns zwar oft nicht leicht, da sie manchmal von einer ganz anderen Welt zu kommen scheinen, aber missen wollen wir sie hier auch nicht mehr. Vor allen Dingen für Madleen wäre es nun doof, wenn Shadow für immer wegbleiben würde. Die beiden sind nämlich zusammen.
Paps hatte mir mal ein bisschen von den beiden erzählt gehabt. Ich habe ja erwähnt, dass deren Opa ein Psycho war. Vieles weiß ich darüber auch nicht, aber als die beiden gefunden wurden, waren sie total verwahrlost und wussten nicht einmal, wie man sich in dieser Welt verhält. Alles war fremd.
Deswegen unterstütze ich Melody da immer ein bisschen. Trotzdem macht sie es mir oft nicht leicht. Ich denke viel darüber nach, was wohl passiert sein muss.

Und ich denke an das Gespräch von gestern. Paps hat zum Glück noch nichts darüber gesagt, dass ich das Telefongespräch total versemmelt habe. Ja, was weiß ich? Ich kann auch nichts dazu, wenn er mich gleich so ins kalte Wasser schmeißt.

Außerdem denke ich an Melody. Ich bin froh, dass sie wieder zurückgekommen ist. Ich versuche ja schon immer mein Bestes, sie zu verstehen und ihr zu helfen, wo ich nur kann. Aber als wir in der Stadt am Bummeln waren, machte sie aus einem Klamottenladen ein Kostümball. Natürlich kann man ja alles anprobieren. Der Haken bei der ganzen Sache war nur, dass sie sich so viele Klamotten wie nur möglich, auf einmal angezogen hatte. Puh, war das peinlich. Sie kennt ihre Grenzen nicht, weil sie es vielleicht nie gelernt hatte.
Trotzdem mag ich sie sehr.
„Können wir Shadow nicht mal suchen? Ich mache mir langsam Sorgen. Vielleicht ist ihm ja was passiert.“

„Er wird schon wieder zurückkommen. Madleen vermisst er bestimmt schon.“

„Aber er meldet sich bei mir auch nicht mehr. Er scheint eingeschnappt zu sein, weil ich wieder zurückgekommen bin. Das ist doch Pipikram und kindisch.“
„Hey, er wird schon wieder zurückkommen. Ist er beim letzten Mal doch auch. Komm mal her.“
Ich nehme sie in den Arm und genieße ihre Nähe.

Melody ist oft so hilflos. Wir haben ja mal versucht, die Zwillinge in der Schule anzumelden, aber mitten im Unterricht sind sie nach Hause gegangen, weil es ihnen keinen Spaß machte. Sie jedoch war so gekränkt über das Verhalten der anderen, dass sie sich schämt, weiter zur Schule zu gehen. Was haben die beiden nur durchmachen müssen? Einmal wollte ich ja nachforschen, aber ich kann doch nicht einfach so in Paps seinen Akten rumwühlen.
„Wir müssen ihn suchen, Joel. Bitte. Er möchte mir nicht sagen, wo er ist, aber ich vermisse ihn so.“

Paps kommt in dem Moment zu uns. Vielleicht wurde er ja hellhörig.
„Wann hat er sich denn das letzte Mal bei dir gemeldet? Kam da irgendwas?“

„Irgendwas?“
Irgendwie habe ich das Gefühl, Melody hört ihm gar nicht zu. Nur ein bisschen, haha.

„Melody? Joel? Hört ihr mal auf damit? Konzentriert euch mal, ja? Wie soll ich helfen, wenn mir eh keiner zuhört?“
„Oh, ja. Hihi. Sorry. Mir hat Shadow gestern Morgen ein Bild geschickt von einem Sandgebiet aus der Wüste.“
Sie zeigt Paps auf ihrem Handy ein Foto, was vielleicht helfen könnte.

„Hier guck mal. Also, ihm schien es da noch gutgegangen zu sein. Siehst du? Hier in der Wüste. Aber jetzt geht es ihm wohl nicht mehr so gut. Er meldet sich einfach nicht mehr.“
„Wüste sagst du? So so.“
Paps muss grinsen.

„Wie es aussieht, ist das in Sulani. Und wenn ich das so sehe, dann will der Junge uns echt verarschen. Er macht Urlaub und wir machen uns Sorgen, oder was?“
„Also? Fahren wir da jetzt hin? Ja? Ja? Ich weiß noch, als ich damals mit Shadow immer Sandburgen gebaut habe. Da freut er sich bestimmt, wenn wir das wieder zusammen machen können. Da waren wir auch in einer Wüste.“

„Ja, lass uns los und ihn holen. Er kann da nicht ewig bleiben.“
Bevor wir losfahren, zieht Paps mich noch zur Seite und scheint doch ein wenig angepisst zu sein. Die Zwillinge wären ohne uns obdachlos und Paps hat alles getan, damit sie ein Dach über den Kopf bekommen und ihr Elend beendet wird. Aber er merkt immer mehr, wie die beiden ganz schön an den Nerven zerren können. So geht es mir ja auch. Und da versuche ich mich schon immer zusammenzureißen.
Und wenn wir schon mal in Sulani sind, dann können wir dort auch eine Weile bleiben und rumschwimmen. Ist auch mal eine willkommene Abwechslung. Bin erst neu auf der Schule und sie fordert mich jetzt schon wie verrückt. Aber um im Leben weiterzukommen, muss man da eben durch.
Dann sehe ich Melody auch noch so im Bikini. Sie denkt sich dabei gar nichts. Wow. Das erste Mal, dass ich sie so sehe.

„Du siehst gut aus. Das steht dir.“

„Hey, ihr beiden, Hört ihr jetzt mal auf hier rumzuflirten? Wir müssen Shadow finden. Schon vergessen?“

Paps sagt immer, dass ich wegen Melody schlechtere Noten bekomme, was aber nicht wahr ist. Die Schule ist nur knüppelhart. Da war meine alte Schule noch ein Kindergarten gegen. Nun gut. Und ein bisschen ist es wegen Melody.
Nein, ich schaue ihr jetzt nicht auf den Hintern.

Wir gehen also so die Wege ab und schauen, wo der Spinner Shadow sich mal wieder versteckt hat. Der Junge ist oft nicht auszuhalten und ich verstehe nicht, wie Madleen mit diesem Kasper zusammen sein kann. Wie ein kleines Kind, was nur Unfug im Kopf hat. Es ist schon nervig genug, mit ihm in einem Zimmer zu schlafen. Aber gut. Madleen beschwert sich auch schon wegen Melody. Plötzlich sitzt sie nachts in ihrem Bett und fängt an zu singen. Was auch immer dieser Psycho-Opa mit ihnen gemacht hat - es war nicht gut.
„Zeig´nochmal das Bild. Mal schauen, wo das ist.“
„Ja klar. Hier.“
„Hm. Wenn ich das richtig sehe, dann muss das dahinten sein. Da, wo die Stühle sind. Hm.“

Während Melody und Paps noch weiter über diesen Spinner reden, sehe ich von Weitem jemanden in einer der Liegen. Ein auffälliger Rotschopf. Ganz genüsslich liegt er da. Irgendwie habe ich den ganz starken Verdacht, dass das unser Ausreißer ist. Ich gehe mal nachschauen.

Hm.

Dem werde ich seine blöde Rübe abreißen, wenn der hier so am Strand chillt und wir uns zuhause Sorgen machen. Madleen ist schon richtig am Heulen. Hätte Paps jetzt nicht den Strand erkannt, dann hätten wir ewig suchen können. Zum Glück ist er drauf gekommen.
Ich gehe also immer weiter zu den Liegen hin.

Und es ist hundertpro Shadow. Da verwette ich meinen Arsch drauf.

Als ich in Sichtweite bin, würde ich am liebsten losrennen und ihn erwürgen. Boah. Der liegt da echt und chillt 'ne Runde. Was läuft bei dem falsch? Nein, das habe ich mich eigentlich schon aufgehört zu fragen.

„Hey, du Pfeife. Was wird das hier? Tickst du noch ganz richtig?“

Shadow steht auf und meckert mich noch voll, warum ich ihn den stören würde.
„Hey, du hast mir gar nichts zu sagen. Das hier ist mein neues zuhause. Klar? Aber meine Schwester musste ja wieder zu dir zurückkommen. Glaub nicht, dass ich wieder mitkomme. Keine Lust mehr auf den ganzen Stress.“

„Boah. Hörst du mal auf, immer nur an dich zu denken? Was für ein Idiot bist du, dass du dich nicht mehr bei Madleen meldest, hmm? Ey.“

Jetzt wisst ihr, warum bei uns gerne mal dicke Luft zuhause ist. Wir versuchen alle schon so ruhig zu bleiben, wie es nur geht, aber Melody und Shadow wissen ganz gut, wie man das Fass leicht überlaufen lassen kann. Ich habe sogar versucht, mit ihm eine Freundschaft aufzubauen, aber ganz ehrlich? Ich gebe es auf.
„Am liebsten würde ich dich echt hier lassen. Dann kannst du hier verrotten, wenn dir eh alles egal ist. Willst du einen auf Robinson Shadow machen oder was? Meine Güte.“

Das Problem bei Madleen und mir ist nämlich, dass wir die Zwillinge schon eine Weile kennen und auch Seiten erlebten, die uns beiden irgendwie verzauberten. Keine Ahnung. Plötzlich ist Melody so süß und zierlich. Da möchte ich sie einfach beschützen. Einfach da sein. Ein Freund sein. Und dann von heute auf morgen verhält sie sich wieder total anders. Man kann es nicht beschreiben.
„Was willst du eigentlich von mir? Du willst immer alles besser wissen. Immer streiten wir uns. Warum eigentlich? Ich habe die Nase voll. Will weg.“

Ich sehe, wie Melody auf uns zuschleicht, was Shadow wiederum wohl nicht mitbekommt. Sie erschreckt ihn.
„Buh. Hihi. Hier bist du. Erwischt. Erwischt.“

„Blöde Kuh. Du hast dich mit Joel verbündet. Ich hasse dich.“

„Habe ich doch gar nicht. Shadow. Ich habe dich vermisst und Madleen vermisst dich auch. Du weißt selbst, dass wir oft Dinge tun, die man so nicht macht. Die Duvans wollen uns doch nur helfen.“
„Hmpf. Du hast recht. Es ist besser als damals. Viel besser.“
„Sag’ ich doch, hihi.“
Und das ist das, was ich meine. Von hier auf jetzt sind sie wieder wie ausgewechselt und man kann sich mit ihnen auch mal normal unterhalten. Ohne diesen Kindergarten.

Und dann halt Momente wie diese. Melody möchte noch eine Runde schwimmen gehen. Ich habe ihr das mal beigebracht und seitdem ist sie eine richtige Wasserratte geworden. Sie bleibt verträumt im Wasser und ich pirsche mich an.

„Hast du dich verschwommen? Soll ich der Lady den Weg zeigen?“
„Huh?!“

„Ne. Brauchst du nicht, hihi. Deeeennnnn .... ich schwimme dir davon, hihi.“
Gut, sie ist noch nicht die beste Schwimmerin und ich hätte sie schnell eingeholt, aber ich kann es nicht erklären. Dieses Mädchen ist ein Traum und ich hoffe, dass wir einst zueinander finden. Das ist nicht so leicht, wie es aussieht.
„Fang mich doch. Fang mich doch. Hihi.“

„Na warte. Gleich hab ich dich.“

Dann gibt es wieder diese Momente. Ich versuche nett zu ihr zu sein und möchte helfen und sie zickt mich total an.
„Lass das. Ich bin kein kleines Kind mehr. Ich brauche deine Hilfe nicht.“
„Woah.“

Da weiß ich einfach nicht mehr weiter.

Doch werde ich nie aufgeben. Süß ist sie ja. Aber auch extrem schwierig. Oder vielleicht bin ich ja nur schwierig? Wer weiß das schon? Vielleicht bin ich ja der, der absolut nicht mit Mädels umgehen kann. Ja, auch solche Gedanken gehen mir schon durch den Kopf.

Paps konnte Shadow überzeugen, gleich wieder mit nach Hause zu kommen. Tja, wir haben es schon nicht leicht mit den beiden. Aber Paps ist froh, dass er den Fall lösen konnte. Er schweigt darüber jedoch wie ein Grab. Er weiß nur, dass es ihm wichtig ist, dass es den Zwillingen gutgeht. Deswegen unterstütze ich ihn, wo ich kann. Und Madleen und Mam tun das auch.
Wir beschließen, uns noch etwas zurückzuziehen, während die Zwillinge eine Sandburg bauen. Na gut. Wenn sie das unbedingt machen wollen. Besser, als wenn sie wieder abhauen.

Ich versuche immer wie Paps, keinen Streit anzuzetteln. Doch es ist gar nicht so einfach in letzter Zeit. Der Umzug hierher war schon hart genug und auch an die Schule muss ich mich erstmal gewöhnen. Es braucht eben alles seine Zeit.
Zuhause wird uns eh gleich die Arbeit abgenommen, als Madleen Shadow sieht und wütend auf ihn zustapft.
„Du Idiot. Warum bist du einfach abgehauen und hast dich nicht mehr gemeldet? Ich hasse dich und ich könnte dich echt. Boah!“

Trotzdem endet dann meist der Streit mit sowas.

Madleen und ich haben eben Hoffnung. Denn eines muss ich Melody lassen. Sie hat jeden Tag eine andere Überraschung für mich.

Und vielleicht versteht sie irgendwann, was Liebe bedeutet. Ich hoffe es sehr.
