- Kucki 232
Folge 12 - Nicht mein Tag

Ein paar Tage müssen wir jetzt noch in die Schule, bevor das Praktikum offiziell losgeht. Morgen liegen noch einige Prüfungen an und ich habe echt Schiss, dass ich das nicht schaffen werde. Meine Lehrerin meinte, dass sie zwar ein Auge zudrücken würde, wenn ich das verbocke, aber ich könnte mir das nicht verzeihen. Frau Paulsen braucht da nicht nachsichtig mit mir sein, auch wenn ich noch recht neu auf der Schule bin.
Na klar, komme ich nach dem Wochenende zu spät zur Schule. Hab´ voll verpennt, weil Shadow mich einfach wieder nur nervte. Lange halte ich das nicht mehr aus. Die paar Tage Ruhe waren eine Wohltat.

Aber Glück gehabt. Zwei Minuten habe ich noch. Ich brauche ja nicht mehr mit dem Bus zur Schule. Kurz noch verschnaufen und dann geht es ans Eingemachte.

Unsere Schule ist recht klein und überschaubar. Meine alte Schule war da schlimm. Jeder ist sich auf die Füße getreten und man wurde angerempelt. Hier geht es etwas gesitteter zu. Na ja. Denke ich zumindest.
Meine kleine Schwester geht hier auch auf die Schule. Ihr Name ist Aurelie. Sie ist die Jüngste von uns Sechsen. Sie lebt nicht bei uns, weil sie sich weigert, mit den Zwillingen unter einem Dach zu leben. Aurelie wohnt bei meinem ältesten Bruder Joshua in Henford on Bagley.
„Hey.“
Klar, sie tut so, als würde sie mich nicht hören. Boah. Man. Kindischer geht es echt nicht. Ja, wir haben uns letztens gestritten, wegen der Zwillinge, aber muss man da gleich so eingeschnappt sein? Kinderkacke. Echt.

„Ja, danke für das Gespräch. Vielen Dank. Ich hab´ dich auch lieb.“

Als wir hierhergezogen sind, ist Aurelie auch mit auf die neue Schule. Meine anderen Geschwister arbeiten bereits. Außer Madleen natürlich. Sie geht aber noch auf unsere alte Schule.
Aurelie hat bereits Anschluss gefunden. Der Typ, der da am Schreiben ist, ist ihr Freund Damon. Kenne ihn aber nicht wirklich.

Meine kleine Schwester meinte zu mir, dass Melody mir nicht guttun würde und ich mal gefälligst die Augen aufmachen soll. Tja. Und dann wurde es immer lauter. Später verschwand sie mit ihren Sachen.
Anschluss finde ich leider kaum in dieser Schule. Warum? Ich weiß es selbst nicht.

Ich habe versucht, mich bei der Truppe dort vorn einzuklinken, aber nach dem Streit mit Aurelie hat sie mich nicht gut dastehen lassen. Nicht nett. Ich würde ja nur Augen haben für Melody und alles andere wäre mir egal. Ich wäre egoistisch und so. Schön. Okay, auf einer Seite kann ich sie verstehen, da sie mit mir immer was unternehmen wollte und ich Melody vorgezogen habe. Aber dass sie gleich so eingeschnappt ist, hätte ich nie gedacht.

Dann ist da noch dieses andere Problem. Die Mädchen himmeln mir hier hinterher. Ich will jetzt nicht irgendwie angeben oder sowas, nein. Aber es kann manchmal ganz schön erdrückend sein, wenn so manches Mädchen da hinter mir so rumquiekt, weil ich ja zum Spind gehe. Alexandra zum Beispiel. Ja, das Mädchen mit dem knappen Rock.
„Hihi, siehst du? Er hat mich angesehen. Ich habe es genau gesehen.“
Zwar versucht sie zu flüstern, aber so schwerhörig bin ich nicht.
Doch dann kommt Pinky an und nimmt ihr jegliche Illusion, da ich ja Melody habe und so. Und so geht das eben jeden Tag.

Doch hier so richtig Freundschaften zu knüpfen, ist eine Kunst für sich.

Ich muss immer grinsen, wenn Alex hinter meinem Rücken richtig große Augen bekommt und wenn ich mich dann umdrehe, macht sie plötzlich was anderes. Dass die Mädchen es nicht checken, dass wir mehr mitbekommen, als ihnen lieb ist. Aber gut. Soll sie machen.


Und dann geht der Unterricht los. Heute ist Mathe angesagt. Nicht unbedingt mein Lieblingsfach, aber ich muss mindestens mit einer Zwei bestehen, damit ich eine Chance auf die Uni habe. Wie toll, dass ich eine Drei habe.

Und dann schielt Alex immer zu mir rüber, während Frau Paulsen wohl mal wieder eine zufriedenstellende Nacht mit ihrem Mann hatte. Sie war einmal so durcheinander in der Schule, dass sie ihren Pullover falsch herum anhatte und der Rock im Schlüppi hing. Und während des Unterrichts war sie dann immer der dollste Sonnenschein. Puh.

Endlich ist die Stunde zu Ende. Vielleicht rede ich heute mal mit Damon und er kann Aurelie so ein bisschen besänftigen. Ist doch doof, wenn meine Schwester mich so ignoriert.

Aber egal. Ich lasse mich jetzt nicht aus der Ruhe bringen, da mir mein Praktikum bei Paps gerade wichtiger ist, als dieser Teenagerkram. Klar, manchmal kann ich auch etwas übertreiben, aber im Großen und Ganzen bin ich da eher der ruhige Typ.
Ich beobachte lieber erstmal, bevor ich mich in eine heikle Situation stürze. Manchmal klappt es. Manchmal auch nicht. Paps macht das auch immer so und fährt damit ganz gut.

Trotzdem möchte ich langsam mal wissen, was Daniel für ein Problem hat. Er guckt mich immer an, als würde er gleich aufstehen wollen, um mich zu vermöbeln. Ich kenne hier noch nicht viele beim Namen. Doch Namen sind mir schon im Gedächtnis geblieben, die mir ein Dorn im Auge sind.
Daniel ist der Typ da, der gerade genüsslich seinen Hamburger verputzt.

Da ich kein Feigling bin, spreche ich ihn direkt mal an.
„Hey. Was hast du eigentlich für ein Problem mit mir? Hab´ ich dir irgendwas getan oder so?“
Sein Kumpel steht auf und sucht wohl das Weite.
„Oh oh. Da bin ich raus.“
Daniel schaut mich total angewidert an. Wie kann ich es auch nur wagen, ihn anzusprechen?

„Haha du Loser. Du fragst mich echt, was mein Problem ist? Dass du dich überhaupt wagst, mich anzusprechen, Schönling. Alter, verpiss dich.“

„Ja, sag doch einfach. Einfache Frage und einfache Antwort. Ganz easy. Oder hast du einfach nur Langeweile? Sag schon.“

„Pass lieber auf, dass ich dir keine reinhaue. Du willst wissen, was ich für ein Problem habe? Echt? Du bist das Problem, weil du hier meinst, der Schönling zu sein. Klar? Und diese Typen hasse ich wie die Pest. Ich bin hier der Coolste, klar? Die Mädchen fliegen auf mich, klar?“
Okay. Das Niveau sinkt gerade unter den Tisch. Daniel scheint hier also der Checker zu sein, der irgendwie mehr in der Hose hat, als im Hirn. Ne. Das brauche ich nicht.
„Cool, dann viel Erfolg beim Aufgabeln. Ich halte dich nicht auf.“
„Hey, halt's Maul, klar?“
Bevor es aber eskaliert, stehe ich auf und gehe. Er will eigentlich hinterher, aber sein Bro von nebenan zieht ihn wieder zurück. Der Gute sollte mich nicht unterschätzen, doch bin ich nicht darauf aus, irgendwas anzuzetteln.
Es ist trotzdem mies, hier so einen ersten Eindruck hinterlassen zu haben. Und ein Teil davon ist meiner eigenen Schwester geschuldet.

Ich brauche erstmal Nervennahrung, um den Rest der Zeit zu überstehen.

Irgendwo setze ich mich dann hin, wo mich mal keiner anstarrt oder anhimmelt oder am liebsten mit seinen Blicken töten würde. Boah. Ich dachte echt, die Schule wäre besser. Manchmal wünsche ich mir, doch wieder in die alte Schule zu gehen. Hier haben die echt nicht mehr alle Latten am Zaun. Machtspiele auf dem Schulhof scheinen hier Programm zu sein.

Oh man. Und dann kommt Daniel noch zu mir. Ey. Der rallt das echt nicht.
„Na, Schönling. Schnell verpissen? Hast du Schiss?“

„Ne, aber mein Käsekuchen schmeckt gleich nicht mehr, wenn du beim Sprechen so sabberst und da immer gegenspuckst.“
„Alter, was geht bei dir, man? Komm´. Wir tragen das auf dem Schulhof aus, wenn du nichts als Sprücheklopfen kannst und meinst hier den Checker raushängen zu müssen.“
„Ne, keine Zeit. Denke, ich muss noch ein paar Gewichte heben für mein Praktikum. Hey, das wird cool. Was machst du denn dann eigentlich? Babysitter?“
„Äh. Ich.“
Ha. Ich glaube, ich habe ihn ertappt und darüber muss er erstmal nachdenken. Die Zeit nutze ich und gehe meine Hände waschen, bevor es in die nächste Stunde geht. Ich hoffe trotzdem, dass mir Daniel nicht hinterherkommt.

Erstmal muss ich aber noch zum Direktor. Er ruft mich gerade noch rein und ich muss eh noch die Papiere abgeben für mein Praktikum.
„Hallo, Herr Duvan. Setz´dich.“

„Was hast du denn auf dem Herzen? Geht es dir gut an unserer besonnenen Schule?“
„Äh, ich wollte die Papiere für mein Praktikum abgeben und sie wollten mich sprechen.“
„Ah, oh ja. Stimmt ja. Sehr viel Papierkram im Moment zu erledigen. Herrje.
Ich gebe Herrn Müller die Unterlagen und dann schaut er mich ganz erwartungsvoll an. Als ob ich ihm jetzt aus der Nase ziehen soll, was er denn von mir will.
„Ähm. Und was wollten Sie noch von mir, Herr Müller?“

„Oh, ja ja. Stimmt. Ich habe mir deine Zeugnisse aus der Brindleton High noch einmal angeschaut und ich muss sagen, sie sind wirklich hervorragend. Aber seit Sie bei uns auf die Schule gehen, lässt das immer mehr nach. Was ist los bei Ihnen? Sie können offen sprechen.“
Das Witzige bei dem Mann ist, dass er nicht weiß, ob er einen jetzt siezen oder duzen soll.

„Ähm. Ich denke, das ist wegen des Umzuges. Es ist alles noch etwas ungewohnt und neu. Das wird sich bessern.“
„Na dann. Dann ist ja alles gut.“

„Du kannst immer mit mir sprechen, wenn irgendwas ist. Die Tür steht dir offen.“
In dem Moment klingelt es zur nächsten Stunde. Ich stehe auf und hoffe wirklich, dass es nur an dem Umzug liegt. So schnell lasse ich mich nicht unterkriegen. Nur weil so ein Spaten meint, hier der Coolste zu sein.
Doch eines hätte ich im Leben nie gedacht: Dass ich es einmal schwer haben werde, in einer Schule Anschluss zu finden. Das ist mir noch nie passiert.

Natürlich bin ich bedrückt. Sehr sogar.
Also schnappe ich mir nach der Schule einfach nur mein Bike und fahre nach Hause.
Meine Laune wird sofort wieder besser, als Melody am Eingang steht und total am Lächeln ist. Ihr Lächeln ist einfach wunderbar. Doch dann:
„Hihi Joel. Stell dir vor. Ich habe bei der Therapie einen Jungen kennengelernt. Er ist total süß und so und wir sind jetzt zusammen. Ist das nicht schön? Ich freue mich total.“

Ich schüttle nur mit dem Kopf und ich denke, mich verhört zu haben. Was sich gerade in mir zusammenbraut, ist nicht gut. Gar nicht gut. Also schiebe ich sie einfach nur aus dem Weg und gehe rein. Heute rede ich kein Wort mehr.
