- Kucki 232
Folge 29 - Du bist so widerlich

Ich stehe recht früh wieder auf. Die Sonnenstrahlen gewinnen schließlich und es wird Zeit, dass ich hier endlich mal Gardinen reinbekomme. Meine Güte. Sehe ich irgendwie schon wach aus? Wohl eher nicht.

Ich dachte echt, dass dieses Gesöff harmloser ist, aber was ich da gestern abgezogen habe, war nicht ich. Das war so megapeinlich und Joshi hätte da nie mit mir hingehen dürfen. Auf dem Festival habe ich mich bestimmt so richtig blamiert. Und dann ist morgen noch Besprechungstag in der Schule. Nein, da gehe ich nicht hin. Garantiert nicht.
Erstmal wachwerden. Also es ist nicht so, als würde ich mich fühlen, wie ein Betrunkener, der jetzt einen ordentlichen Kater hat. Nein, denke, das fühlt sich anders an. Plötzlich hat man da voll die Gedanken und möchte am liebsten mit allen Mädels der Welt flirten. An sich harmlos. Eigentlich. Als wenn da so ein kleiner Engel eine Überdosis Liebesgefühle mit seinem Pfeil in dein Herz geschossen hat. Voll krass.

Lustig war es trotzdem irgendwo. Also nachher dann zumindest.

Ich höre, wie Michelle quengelt und da denke ich mir, kann ich doch mit ihr eine Runde drehen. Sonne scheint und es ist warm. Hey, es ist ja erst 6 Ur morgens. Passt schon. Bisschen ablenken von dem ganzen Spaß. Die Mädels werden mich doch morgen in der Schule auslachen.
„Na, Süße?! Wollen wir eine Runde drehen? Hast du Lust?“
Ich glaube, Michelle ist meine einzige Freundin. Sie knuddelt wenigstens mit einem, haha.

Ihr Zimmer haben wir jetzt auch schon fast fertig. Ein bisschen muss noch getan werden, aber die Kleine fühlt sich schon ganz wohl. Hoffentlich ist mein Zimmer aber bald dran. Schrecklich, mit den kahlen Wänden.
„Komm, ich zieh’ dir was Cooles an und dann geht's los, hehe.“

Alles einfach mal abschütteln und mit meiner kleinen Schwester rumcruisen. Yeah.

Später machen wir sogar die Gartenarbeit zusammen. Ich muss jetzt einfach irgendwas tun. Ständig denke ich an gestern. Ich muss gestehen, dass ich schon lange nicht mehr so gelacht habe, wie gestern. Vor allen Dingen mit Katharina. Ich hoffe, ich habe es mir nicht verscherzt. Bei keinem.

Plötzlich sitzt man da zwischen einem Haufen Mädels, die einen noch mit Rosen beschmeißen. Da bin ich doch eigentlich nur so ein Softie und an mir ist nicht mal was dran. Wenn man sich manche Typen so anguckt, bin ich ja echt noch ein Milchbubi gegen.

Und dann überlege ich, ob ich schon jemals mit Katharina gesprochen habe. Ich weiß noch, als sie sagte, dass ich sie endlich mal gesehen habe. Warum kommt mir dieser Satz so bekannt vor?

Während ich so über gestern nachdenke, kommt es mir alles wieder so schnell vorbei vor. Man macht hier sein Ding und schwups, ist man fertig.
Meine Eltern sind auch mittlerweile wach. Na gut. Ich war ja auch nicht gerade ruhig, aber ich kann mal sagen, dass Michelle gerade einen ordentlichen Ausflug hatte.
„Die Weiterbildung würde mich wirklich sehr weiterbringen. Ich sehe zu, dass sie dann auch nur vormittags ist.“

„Ja, ist ja auch kein Ding, aber das bedeutet auch größere Aufträge und ich mache mir ja jetzt schon Sorgen.“

„Was sagst du denn dazu, Joel? Dein Praktikum kann davon auch nur profitieren. Mir ist es wichtig, dass ihr beiden einverstanden seid, sonst blase ich das Ganze ab. Ich kann den Anwälten noch nicht zu dolle in den Hintern treten, dass sie mal ordentlicher arbeiten und auch genauer sein sollen. Das ist mir wichtig.“

„Was ist, wenn Paps erschossen wird? Der Job ist schon gefährlich genug. Ich denke, du möchtest noch ein bisschen von deinem Paps haben, oder?“

„Emily? Das mit dem Überfall war eine Ausnahme. Außerdem war ich zivil unterwegs. Ich arbeite doch verdeckt. Wenn mich einer erwischt, dann nur, weil ich geschludert habe. Aber ich schludere so schnell nicht.“
„Ich denke auch, Mam. Er ist doch kein Polizist oder so, der wie blöd jemandem hinterherfahren muss. Paps versteckt sich doch. Ich finde die Weiterbildung toll. So kann Paps eben noch besser werden.“
„Hmpf. Okay, ihr habt recht.
Seit dem Überfall ist Mam sehr ängstlich geworden, was Paps betrifft. Kann man ja auch verstehen. Aber das hätte in dem Falle jedem passieren können.
Ich lasse die beiden allein, denn ich wollte mir mal die Baustelle vom Baumhaus anschauen. Irgendwie habe ich jetzt Bock darauf, dieses Ding aufzubauen. Und dann verpiesel’ ich mich immer nach da oben und habe meine Ruhe vor allen Mädels und Melodys. Einfach nur ich da oben.

„Na, was meinst du? Wollen wir das Ding aufbauen?!“, höre ich Paps hinter mir plötzlich sagen.

„Was ist denn mit Mam? Hat sie deiner Weiterbildung zugestimmt?“
In dem Moment kommt Mam raus und antwortet selbst:
„Ja, alles gut. Er geht ja nicht jeden Tag in die Tankstelle, hihi. Wollen wir anfangen?“
„Wow. Cool. Das Ding echt aufbauen? Klar, machen wir.“
Paps holt sein Werkzeug aus dem dunklen Raum da unten. Keller nenne ich es noch nicht. Da gibt es ja nicht mal Licht.

Und so hämmern, bohren und sägen wir wie die Wilden. Michelle wird bestimmt auch ihre Freude daran haben. Einfach nur cool.
Einige Stunden später ruft Mam zu mir rüber:
„Joel? Du hast Besuch.“

„Jo, komme.“
Ich lege meinen Hammer zur Seite und gehe hoch.

Gut, Mam hat nicht gesagt, wer es ist, aber der Grund erklärt sich schnell von selbst. Woher soll sie Katharina auch kennen? Sie ist das nämlich und jetzt werde ich doch ordentlich nervös. Hoffe, ich habe keinen falschen Eindruck hinterlassen. So eine große Labertasche bin ich doch gar nicht. Und außerdem hat sie mich immer so angelächelt und, hmpf. Ich weiß auch nicht.

Klar. Mam und Paps schauen sich nur an und grinsen. Ich schüttel’ aber nur mit dem Kopf. Manno. Da grinsen sie nun noch mehr.
„Hihi. Unser Sohn hatte gestern seinen Spaß, wie ich sehe.“
„Mam? Nein.“
Ich gehe zu Katharina und wundere mich, dass sie überhaupt hier ist. Will sie mir jetzt eine Standpauke halten, dass ich ein Idiot bin und so? Woher weiß sie überhaupt, wo ich wohne?

„Äh, hi. Was gibt's?“

„Ähm. Ich habe dir deine Jacke mitgebracht. Die hast du gestern auf dem Festival liegengelassen.“
„Äh. Echt? Oh. Gar nicht mitbekommen.“

„Aber cool. Danke. Woher weißt du überhaupt, wo ich wohne?“
„Na ja. Ich wohne nicht weit weg und du hast gesagt, du wohnst jetzt in Willow Creek und hier stand halt immer der Umzugswagen und dann habe ich eins und eins zusammengezählt. Ich, ähm. Ich hoffe, das ist okay.“
„Jo, cool. Du. Ich muss dann weitermachen. Baumhaus und so.“
„Ja, okay.“
Genau sooooo viel rede ich nämlich. Nicht mehr und nicht weniger. Das gestern war doch total der Müll. Also stehe ich auf und mache mich wieder ans Werk.

Wird schon 'nen cooles Teil. Mein zweites Reich wird das.

Ich sehe, wie sich Katharina noch eine Weile mit Mam unterhält, bevor meine Mitschülerin dann auch wieder abhaut. Wenigstens hat sie schon mal nicht gelacht. Mädchen kichern doch immer gern über jeden Scheiß.

Später kommt auch noch Joshi kurz rum und bringt mir die Rosen, die mir die Mädels geschenkt haben. Klar, dass meine Eltern hier erst recht schmunzeln müssen. Man, ja. Ist halt so. Haben sie sich noch nie Rosen geschenkt? Ist doch egal.
„Hey, es tut mir leid, dass es gestern so ausgeartet ist. Ich meinte es nur gut und dachte, dass könnte dich etwas auf andere Gedanken bringen.“

„Jo, passt schon. Danke. Hast es ja nur gut gemeint.“
„Bist du nicht sauer?“
„Nein.“
Es klingelt an der Tür. Ich habe keinen Plan, warum ich aufmache, da es nicht zu übersehen ist, wer davor steht. Aber vielleicht nutze ich die Chance und werde die Frau so richtig in den Wind schießen. Vielleicht hat sie mich ja gestern auch nur gesehen und ist jetzt eifersüchtig. Hey, das wär's. Bin eh schon irgendwie total angeschlagen. Kann einfach nicht schlimmer werden heute.
„Was willst du? Hab kein Bock auf Stress, okay? Hau einfach ab.“

Ich dachte ja echt, dass ich hier in Willow Creek endlich Ruhe vor ihr habe und plötzlich steht sie dann doch vor der Tür. Man ey. Wundert mich, dass man sie überhaupt da rauslässt.
„Ich wollte mich entschuldigen und dir sagen, dass ich noch Gefühle für dich habe und wir unbedingt reden sollten. Das ist mir wichtig.“

Natürlich. Gerade an diesem miesen und beschissenen Tag kreuzt sie auf. Na klar. Okay. Obwohl. Dann kann ich ihr endlich mal die Meinung geigen. Habe ich ja eigentlich noch nie so richtig, oder? Hmm. Haha.
Dann versucht sie mich auch noch in den Arm zu nehmen. Boah, sie tickt echt nicht ganz sauber. Ich bin so angewidert. Ne, nicht so.
„Hör zu. Ich habe auch weiterhin keinen Bock mehr auf den Mist, okay? Und ich möchte auch nicht, dass du mich anpackst. Ich habe keinen Plan, was bei dir nicht so ganz sauber tickt, aber lass mich einfach in Ruhe, okay?“

„Es wundert mich sowieso, dass ich so hinter dir hergeheult habe. Das war reine Zeitverschwendung.“

„Wie bitte? Was redest du da? Ich wollte mit dir reden und du bist jetzt so ein Ekel? Das ist doch gar nicht wahr. Ich dachte, du hast mich geliebt und wir könnten neu anfangen.“

„Nein, es reicht mir, Melody. Ich werde mit dir nie wieder reden. Geh einfach, okay? Hau ab. Lass einfach gut sein. Plötzlich ist alles wieder für dich heile Welt und ich soll dir hinterherlaufen. Nein. Der Zug ist abgefahren. Verschwinde einfach!“
Wow. So habe ich noch nie geredet. Ich möchte sie eigentlich nicht wirklich verletzen, aber es kommt gerade alles irgendwie hoch und ich muss das jetzt einfach mal rauslassen. Mein Leben geht weiter, ja. Aber ohne Melody. Sie hat einfach keinen Platz mehr in meinem Leben.

„Boah, du bist so widerlich. Du bist ein richtiger Arsch und ich werde das jedem sagen, was für ein Arsch du bist. Du kannst nichts anderes, als andere verletzen. Pah. Ich hasse dich.“
Sie fängt an, mich nach hinten zu schubsen, aber ich bleibe stark.

„Ach, ja? Wer ist denn hier widerlich, hmm? Alles sollte immer nach deiner Pfeife tanzen. Immer wieder. Du bist egoistisch und ich finde es ja schon abnormal, dass du überhaupt weißt, wo ich wohne. Soll ich etwa noch weiter wegziehen, damit ich endlich Ruhe vor dir habe?“
Ich habe wirklich keine Ahnung, wo diese Wut plötzlich herkommt. Es ist so, als wenn ich meine ganze Last von mir runterschreie. Alles, was mir nicht guttut, haue ich raus. Ich bin so wütend. So aufgebracht.
Schließlich schaut sie mich auch einfach nur an und fängt nicht mal an zu heulen oder so. So richtig kalt ist sie gerade. Hat sie überhaupt Gefühle? Denn hey. Ich fange an, zu weinen. Zwar nicht doll, aber ich bin noch am Sortieren, ob das jetzt wirklich guttat. Ich weiß es noch nicht.
„Ich hasse dich, Joel.“
Sie dreht sich um und verschwindet.

So renne ich einfach nur noch quer durchs Haus und gehe auf das Baumhaus rauf. Ich will jetzt allein sein.
