- Kucki 232
Folge 43 - Bitte nicht streiten

Zweite Sommerwoche: Freitag
Geburtstag: Marc
Event/Feiertag: keiner
Erzähler/in: Joshua
Ich konnte letzte Nacht nicht so gut schlafen, weil es mir gehörig auf den Geist geht, dass Mam und Paps sich im Moment so streiten. Das haben sie nie gemacht. Ich möchte gern wissen, was da los ist. Und dann habe ich heute noch Prüfungen. Na toll. Das wird doch nie was.

Selbst meine Geschwister haben davon mitbekommen. Madleen fragt mich:
„Warum hat Paps im Büro geschlafen? Liebt er Mam gar nicht mehr?“

Ich versuche sie zu beruhigen, denn jeder hier am Tisch ist deswegen etwas launisch. Emilio hat Angst, dass sie sich nun scheiden lassen und so. Aurelie macht sich Sorgen, dass Paps ihr nun keine Geschichten mehr vorlesen wird. Na toll. Daher beschließe ich, mit den beiden nachher mal zu reden. So als großer Bruder eben für meine kleinen Geschwister.

Doch erstmal muss ich mich um meinen Kram kümmern. Immerhin ist mein Bart top in Form und hey. Ich wirke wirklich erwachsen. Das gefällt mir. Auch wenn man mich im Pfadfinderverein nun den großen Knuddelbär nennt. Pfff. Das werden die Kids da schon noch sehen.

Und ab geht es. Heute soll es richtig heiß in Copperdale werden. Vielleicht bekommen wir ja hitzefrei. Besser als sich hier kaputtzuschwitzen. Kommt mir ja auch gelegen, nach dieser miesen Nacht. Werden dann die Prüfungen verschoben und ich kann mich noch etwas besser drauf vorbereiten.
Heute treffe ich neue Schülerinnen an. Wie nett. Das einzige Mädchen hat Konkurrenz bekommen, haha.

Auch die Mensa ist heute viel voller. Neue Schüler*innen melden sich an. Aber interessiert mich nicht soweit. Ich mach’ hier mein Ding und gut ist. Wenn man sich mit keinem einlässt, dann hat man weniger Probleme. Also setze ich mich einfach an den Tisch und lerne. Wenn es die Unruhe denn zulässt.

Mrs. Ampelmännchen ist auch wieder da. Warum macht sie das immer?

Bis ich dann aber etwas später Gezanke im Flur mitbekomme. Boah, ich will doch nur in Ruhe lernen. Meine Herren. Was ist, wenn ich die Prüfungen nun vergeige? Und das nur, weil sich meine Eltern streiten.
Ich schaue einmal nach und bekomme mit, wie Mrs. Ampelmännchen total runtergemacht wird.
„Hey, was soll das hier immer? Du stehst hier halb nackt und machst einen auf Mrs. Aufmerksam und alle gaffen dir auf den Hintern oder was? Genießt du das etwa?“

Wahnsinn, was der für Töne spuckt. Klar. So ein Schönling aus dem Footballteam. Na klar, dass Mrs. Ampelmännchen dann noch so einen hat. Wie soll es auch anders sein?
Eigentlich möchte ich mich da ja nicht einmischen, da ich ja meine eigenen Probleme habe, aber ich kann dann doch nicht anders und sage:
„Hey, bleibt es denn bei heute Nachmittag mit der Nachhilfe? Müsste ich jetzt wissen, sonst nehme ich mir was anderes vor.“
Die beiden schauen mich an und besonders Mrs. Ampelmännchen schaut nicht schlecht.
„Ähm, wie bitte? Nachhilfe?“
„Na, bei Mathe halt. Du hast mich doch letztens gefragt.“

„Äh. Nachhilfe? Meine Freundin braucht keine Nachhilfe. Wie kommst du auf sowas, du kleines Schwabbelchen?“
„Weil sie mich lieb gefragt hat und ich habe halt ‚Ja‘, gesagt.“
„Äh, ja. Genau. Genau in Mathe. Nachhilfe. Ja, stimmt. Habe ich fast vergessen.“
Ich glaube, bei dem Typen da würden am liebsten die Blicke gerade so richtig töten.

Fragt mich nicht, warum ich das gerade mache, aber ich kann es einfach nicht leiden, dass jemand so niedergemacht wird. Der Schönling hat eine ganz schön große Klappe und hat mich „Schwabbelchen“ genannt. Boah. Der fühlt sich besonders cool. Ich liebe jedes Pfund an mir. Mir doch egal, was andere sagen.
„Äh, du. Ich habe noch gar nicht deine Nummer, falls du nochmal Nachhilfe brauchst. Kannst du sie mir geben?“
Haha. So langsam fängt da jemand so richtig an zu kochen. Dieser Blick. Muss nur aufpassen, dass ich nicht gleich noch eine sitzen habe.
„Äh, ja klar. Hab ich ganz vergessen. Hier hast du sie.“
Mrs. Ampelmännchen ist immer noch total perplex und versteht noch nicht, dass ich sie eigentlich nur vor diesem Blödmann schützen möchte. Habe ja schon oft mitbekommen, wie er sie da zur Sau gemacht hat. Warum macht sie das überhaupt mit?
Wie dem auch sei: Ich habe jetzt ihre Nummer. Werde ich sie nachher wieder löschen. Passt schon. Wollte nur mal nett sein. So kann ich vielleicht meinen Tag noch etwas retten.


„Na dann. Bis später.“
„Äh, ja.“
Ich lasse die beiden nun allein und kann mir ein Grinsen gerade nicht verkneifen. Einer guckt doofer als der andere. Trotzdem aufpassen. Mit solchen Football-Schönlingen ist nicht zu spaßen. Mit einmal hat man das ganze Team gegen sich. Egal, denn ich muss mich erstmal auf die Prüfung vorbereiten. Einmal tief durchatmen und dann Sachen holen.

Also gehe ich nach oben. Die erste Prüfung ist in Physik. Eigentlich bin ich ja in diesem Fach ganz gut, aber nicht heute. Ich muss immer an Mam und Paps denken. Manno.

Trotzdem gebe ich mein bestes und lasse kaum Fragen aus.

Als es klingelt, bin ich fix und alle. Ich bin so müde, dass ich erstmal eine Peperoni-Pizzarolle brauche. Verdammt. Ich hoffe, ich habe alles richtig.

Auf einer Seite bin ich aber doch etwas stolz auf mich. Seitdem ich diesem Mädchen da geholfen habe, ist Ruhe im Flur. So oft, wie die sich da immer zanken, fällt die Ruhe jetzt richtig auf. Also ist mein Tag gerettet.

In der Mensa treffe ich sogar wen Bekanntes.
„Hey, Cousinchen. Wie geht's? Was machen Tante Samira und Onkel Christian so? Man hört gar nicht mehr so viel von euch.“

„Wir wollen demnächst umziehen. Soll euch noch schöne Grüße ausrichten.“

Tante Samira kommt ja so zwischendurch immer mal zu uns, so wie gestern ja auch, aber irgendwie ist sie nur da. Wenn ich mit ihr rede, dann weiß ich nie, ob sie gerade zuhört oder nicht. Hm.
Aber das hält mich jetzt nicht davon ab, die nächste Prüfung zu schreiben. Diesmal ist es Biologie. Genau mein Fach. Wäre blöd, wenn ich das jetzt voll verhauen würde. Nicht Joshua Duvan, der Pfadfinderprofi.

Boah, echt jetzt? Ich erschrecke mich gerade voll, als plötzlich die Direktorin durch die Tür kommt und meine Mitschülerin total anmacht:
„Was bildest du dir ein, mit dreckigen Schuhen in die Schule zu kommen? Wir haben draußen super große Abtreter. Diese kann man benutzen. Pfui. Wird dir sowas zuhause nicht beigebracht?“
Ich muss schmunzeln. Diese Frau ist echt die Krönung. Erst hat sie mir ja Angst gemacht, aber jetzt kann ich nur drüber lachen und sie rettet meinen Tag noch mehr.

Egal. Ich muss mich jetzt konzentrieren. Was für blöde Fragen sind das? Hä? Die haben wir so gar nicht durchgenommen. Hm. Mal schauen. Ein bisschen weiß ich ja vom Verein und andere wiederum sind auch logisch. Gut, mal sehen.

Geschafft. Zwei Prüfungen trotzdem bestanden. Zwar keine Glanzleistung, aber ich bin zufrieden. Und jetzt hole ich erstmal Mrs. Ampelmännchen ab. Keine Ahnung, was das werden soll, aber vielleicht habe ich ja so auch ein Ass im Ärmel, wenn ich mit ihr nach Hause komme. Mam und Paps werden Augen machen, hihi.
Unten ist dieser Loverboy auch schon wieder zugange und meckert sie voll an. Echt jetzt? Er ist eifersüchtig auf mich. Als wenn ich was von dem Püppchen wollen würde. Ne. Sie ist absolut nicht meine Liga. Ganz ehrlich. Aber helfen möchte ich trotzdem, weil ich eben nett bin.
Also frage ich:
„Wollen wir dann los zur Nachhilfe?“

Wie der Schönling mich wieder anschaut, hihi. Tja. Ich lasse mich sowieso nie unterkriegen. Wir bekommen schon früh im Verein beigebracht, dass man jeden respektieren sollte. Egal, welche Herkunft, welches Geschlecht oder was auch immer.
Mein Cousinchen scheint auch schon ganz schön genervt von der Zickerei dieses Heinis zu sein.
„Hey, hör mal zu, du Klugscheißer. Wenn du meinst, dass du bei meiner Freundin landen kannst, dann hast du dich geschnitten. Du wirst ihr bestimmt keine Nachhilfe geben, Schwabbelchen.“
„Na, das werden wir mal sehen.“

Mrs. Ampelmännchen weiß schon gar nicht mehr so richtig, was sie sagen soll und sie sagt einfach nur zu mir:
„Komm, lass uns gehen. Mein Freund nervt mich eh.“
„Was? Wie bitte? Du gehst mit dem Schwabbelchen mit? Was fällt dir ein?“
„Tja. Schwabbelchen hilft deiner Freundin jetzt in Mathe.“

Ich gehe mit ihr raus und Mr. Schönling steht noch total sauer am Eingang, aber dem habe ich wohl die Luft weggeschnappt, hihi. Was hat er auch immer so eine große Klappe? Ich hasse das. Er ist so ein reicher Schnösel. Sein Paps führt einen Tennisclub, soweit ich mal mitbekommen habe.
Meine Mitschülerin redet auf dem Weg zu mir gar nicht. Sie fragt nicht, warum ich das mache noch fragt sie nach meinem Namen noch sonst was. Oh, da fällt mir ein, das habe ich sie ja auch noch gar nicht gefragt. Als wir also vor unserer Tür stehenbleiben, muss ich dann doch mal nachfragen. Jetzt habe ich dieser Lady schon von diesem Blödi ferngehalten und weiß nicht mal ihren Namen.
„Äh, ich bin übrigens Joshua und du?“

„Marianne.“
„Ah, cool. Netter Name.“
Wir gehen rein. Ich schaue noch, ob ihr überhaupt bewusst ist, warum ich das eigentlich alles mache, aber irgendwie kann ich das noch nicht so richtig einordnen. Sie sagt einfach nichts. Hätte ja auch gehen können und so. Bis dann schließlich doch noch was kommt.
„Äh, du. Hör zu. Ich weiß nicht, warum du das vorhin gemacht hast, aber ich danke dir. Mein Freund denkt, dass ich ihm gehöre. Und Nachhilfe brauche ich eigentlich nicht, hihi. Trotzdem hast du ein nettes Zuhause, wenn ich mir das so anschaue. Aber wenn ich ehrlich bin, würde ich jetzt gern nach Hause gehen. Ich denke, mein Freund wird mich schon in Ruhe lassen. Ich will ihm sowieso bald noch ein paar Takte erzählen. Danke also, für deine Hilfe.“
„Äh, äh. Klar. Kein Ding. Ich.“
„Oder warte. Bevor ich gehe - kann ich kurz nochmal euer Klo benutzen? Habe ich vorhin ganz vergessen bei dem ganzen Hin und Her, hihi.“
„Klar.“
Ich gehe mit ihr also nach oben und zeige ihr, wo das Klo ist. Derweil muss sie sich immer umschauen. Meine Geschwister sind bereits auch da. Habe unten wohl etwas zu lange gewartet, da Paps schon seine eigene Party macht und seinen Geburtstag feiert. Er wollte da heute nicht so einen Hermann draus machen. Gestern habe ich ihm ja auch schon ein Geschenk gekauft. Aber mehr hoffe ich darauf, dass er sich mit Mam wieder vertragen hat.
Als ich im Esszimmer nachschaue, ist sie nicht da. Wie bitte? Echt jetzt?

Der Anblick macht mich nur gerade ziemlich traurig. Wir haben nie ohne den anderen gefeiert und er pustet einfach so die Kerzen aus. Man ey.
Ich spreche Paps direkt an und frage ihn, ob wir mal kurz unter vier Augen reden könnten.

„Paps? Ich weiß zwar nicht, was ihr beiden für ein Problem habt, aber ich möchte, dass ihr das klärt, okay? Tust du mir den Gefallen? Und da ich nicht weiß, was los ist, würde ich es aber gern mal wissen, da es mich auch was angeht.“
Jetzt wird hier Nägel mit Köpfen gemacht.

„Du musst wissen, dass auch meine Geschwister darüber sehr traurig sind und ich habe eine gewisse Verantwortung, damit es ihnen gut geht, wenn ihr euch aufführt wie kleine Kinder, okay?“

„Ich hab euch mega lieb und möchte nicht, dass ihr euch streitet. Paps, du hast heute Geburtstag und auch wenn du so nicht feierst, sieht ein Geburtstag hier trotzdem ganz anders in unseren Reihen aus, okay? Und da sollte auch Mam mit dabei sein.“
Ich nehme Paps in den Arm.
„Alles Gute. Und heute Abend feiern wir zusammen und essen Kuchen.“
„Ja. Tut mir leid, Joshua. Ich werde morgen mit Mam reden.“
„Nein. Ihr redet jetzt.“

Paps hat wohl nicht damit gerechnet, dass ich so auf ihn zukomme. Tja, auch sowas lernt man im Verein. Ich bin ein guter Streitschlichter.
„Sag mal. Wer ist eigentlich das Mädchen da? Hast du eine Freundin?“

„Nicht vom Thema ablenken. Redest du mit Mam?“
In dem Moment kommt Marianne mit dazu und Paps ist irgendwie voll neugierig. Oh, ich hab ja ganz vergessen zu sagen, dass sie nicht meine Freundin ist. Da braucht er nun nichts denken. Ist ja auch nicht mein Typ.
„Hi. Ich bin Marc. Und du bist?“

Wie dem auch sei. Marianne bleibt irgendwie doch noch länger und amüsiert sich ganz prächtig.
Paps hat langsam auch immer bessere Laune, was mich sehr freut.

Mam scheint die ganze Zeit in der Werkstatt gewesen zu sein. Das macht sie immer, wenn sie schlecht drauf ist oder mal allein sein möchte. Kurz vor dem Abendbrot erst kommt sie zu uns nach oben. Sie schaut nicht schlecht, als sie Marianne sieht. Hey, stopp. Moment. Ich wollte ja eigentlich nur Nachhilfe geben oder wie man das auch immer nennen mag. Die beiden brauchen sich echt nun nichts einbilden.
„Hey. Hi. Ich wusste nicht, dass mein Sohn ein Mädchen mit nach Hause bringt. Ich bin Emily.“

Schließlich stupse ich Mam und Paps an, dass sie ja noch was zu klären haben. Hach, wie süß das doch ist. Jetzt ist Paps mal derjenige, der Mam küsst. Das ist ein gutes Zeichen. Jetzt müssen sie nur noch miteinander reden. Und vielleicht auch mal mit uns reden.
„Es tut mir leid, Marc. Alles Gute zum Geburtstag. Ich lieb dich.“
„Es tut mir auch leid. Ich lieb dich auch.“

Marianne bemerkt, dass es doch schon sehr spät geworden ist. Sie bedankt sich noch einmal für meine Hilfe und ist froh, dass sie hier war.
Tja, wir Pfadfinderjungs wissen halt, wie man hilft. Immer stets zu Diensten. Deswegen verbringen wir auch den restlichen Abend zusammen am Tisch und stoßen auf Paps seinen Geburtstag an. Und morgen würde ich gern erfahren, warum sie sich überhaupt so gestritten haben.
