- Kucki 232
Folge 58 - Kartenhaus

Ich habe es mir die letzten Tage nicht anmerken lassen, aber mir geht es sehr schlecht. Paps wollte ich mit meinem Kummer nicht auf die Nerven gehen, da er sein eigenes Leid zu tragen hat. Und will ich heute aufstehen? Nein.

Jeden Morgen bekomme ich doch mit, wie er immer mehr runtergerissen wird. Aber sehe ich auch, dass er versucht immer und immer wieder stark zu bleiben. Und das möchte ich auch. Mam ist weg und das tut mir sehr weh. Paps weiß das auch, aber ich muss eben damit leben, dass wir nicht mehr unter einem Dach wohnen. Mam hat immerhin ordentlich Bockmist gemacht.

Selbst als Paps fragt, wie es mir denn so geht, sage ich einfach, dass alles okay ist. Könnte besser sein, aber okay.

Aber reden tun wir in der letzten Zeit kaum noch miteinander. Das Nötigste halt. Ich habe im Moment das Gefühl, dass alles wie ein Kartenhaus zusammenfällt.

Und warum? Weil Katharina gestern Abend mit mir Schluss gemacht hat. Darum.

Olivia war schuld daran. Sie bedrängte mich immer mehr. Man kann schon fast sagen, dass sie mich „heiß“ machte. Anders kann man es nicht ausdrücken. Also nicht, dass ich es wollen würde, aber sie fing plötzlich an, mir immer näherzukommen. Hauchte mir ins Ohr und nun ja. Ihre Hand landete einmal etwas zu tief. Ich weiß nicht, was Olivia für ein verlogenes Biest ist, aber es hat alles zerstört. Natürlich legte sie erst so richtig los, als Katharina dazukam. Ihr könnt euch vorstellen, was passiert ist. Angeblich hätte ich mich ja nicht gewehrt und hätte es zugelassen. Toll. Und sie würde es jetzt sehr bereuen, dass sie sich auf mich Schönling einließ. Sie hätte das eher wissen müssen und so. Spät abends kam dann eine SMS, dass sie nicht mehr möchte. Und ich schwöre: Ich habe nichts gemacht. Gar nichts. Ich liebe Olivia nicht mal.

Ich traue mich nicht mal in die Schule. Es zerbricht mir das Herz. Vor ein paar Tagen habe ich noch mit Katharina so gelacht. Wir waren ein Team. Und jetzt?

Als ich nämlich in die Schule komme, grinst Olivia nur. Und Katharina? Tja. Diese arrogante Ziege von Olivia hat alles kaputt gemacht. Sie sieht sich jetzt auf der Siegerseite. Doch ich kann einfach nichts machen. Katharina würde mir eher eine scheuern. Mehr auch nicht.

Sie ist so sauer. Katharina. Bitte nicht. Tu mir das jetzt nicht an. Ich brauche dich doch, denke ich nur.

Ich fühle mich in der Schule heute total fehl am Platz. Als würde ich hier gar nicht hingehören oder hinpassen. Das schwarze Schaf. Nur Max lächelt mich an. Svenja vielleicht auch noch, aber die anderen stehen auf Katharinas Seite und können es selbst kaum glauben, was ich mit Olivia abgezogen habe. Warum ich? Ich wollte sie doch zur Seite schieben, aber plötzlich hat sie mir dahingepackt. Was soll ich machen?

Im Moment kommt es mir so vor, als ob ich in die Vergangenheit gereist bin. Dorthin, wo ich noch Probleme hatte, hier in der Schule Anschluss zu finden. Es kommt mir alles so verdammt bekannt vor.
Unten versuche ich mich noch etwas abzureagieren, bevor der Unterricht losgeht. Irgendwo, wo ich allein bin. Tja. Aber so ganz bin ich es dann doch ganz schnell nicht mehr.

Aber ich fackel’ nicht lange. Hier und jetzt mache ich sie zur Sau. Es würde ja eh keiner mitbekommen. Ich werde sie anschnauzen und fragen, was der Scheiß soll. Sie tut gerade echt so, als wäre nichts passiert. Zwinkert mir wieder nur zu und ganz ehrlich? Sie und Laufband? Niemals.

Das Problem ist nur: Es kommt nichts. Ich bin ein Weichei.

Irgendwie habe ich Angst, dass sie mich plötzlich wieder so belagert. Am besten, ich gehe einfach weg. Sie zu ignorieren, wäre wohl die beste Lösung gerade.
Doch:
„Tust du mir bitte einen Gefallen und lässt mich in Ruhe? Ich habe keine Ahnung, was du hier für eine Show abziehst, aber lass es, ja?“

Also gehe ich einfach. Es ist alles gesagt und das war Klartext genug.

Da macht sie es schon wieder. Folgt mir einfach. Ich drehe bald durch. Seit sie hier auf unsere Schule geht, ist so eine Unruhe. Und nur, weil sie mich mit allen Mitteln haben will. Um jeden Preis.

Ich dreh’ mich zu ihr um:
„Rallst du es nicht? Lass es!“

Das Problem ist ja, dass sie mir nur einfach schweigend folgt. Langsam werde ich richtig sauer. Weiß einfach nicht, wohin gerade. Und da möchte ich doch nur mit Katharina reden und mich entschuldigen. Jetzt hasst sie mich.

Ich werde wütend. So richtig wütend. Mein Adrenalin steigt immer weiter und ich würde sie so gern anschreien. Heulen. Abhauen. Alles auf einmal. Ich versuche dabei zu bleiben, mich einfach nur umziehen zu wollen. Ab in die Kabine und einschließen.

„Was denn? Dir hat das doch gestern gefallen. Fühlte sich zumindest so an.“

„Komm schon, Joel. Man ey. Okay, der war gestern uncool, aber du bist eben eine heißes Ding. Wirklich. Das weiß Katharina wohl nur nicht zu schätzen.“
Alles klar. Dann ziehe ich mich eben nicht um. Ich versuche weiterhin ruhig zu bleiben. Es ist schon alles schlimm genug. So gehe ich eben in kurzer Hose durch den herbstlichen Wind und bin in Sicherheit. Hoffe ich zumindest.

Ich war so glücklich mit Katharina. Habe mich schon auf das Essen am Wochenende gefreut. Wir sind uns noch nicht wirklich näher gekommen, außer eben hier und da ein bisschen knutschen, aber ihre Nähe macht mich einfach glücklich. Eigentlich. Ich liebe dieses Mädchen. Und nun giftet sie mich nur noch an. Es tut weh. Warum kann nicht einfach alles wieder normal sein?
In der Mensa reicht es mir.
„So, Olivia. Stopp. Kommst du mir jetzt noch einmal zu nahe, werde ich dafür sorgen, dass du im Keller Unterricht machen kannst.“
Okay, ich dachte, dass ich jetzt ein gutes Argument hätte, doch der war mau.

Also stehe ich wieder auf und das Spiel geht von vorn los. Muss nur aufpassen, dass sie mich nicht wieder in die Enge treibt. Nochmal zieht sie das nicht ab. Warum habe ich überhaupt gestern nichts gemacht? Ich habe doch gemerkt, dass was faul war und stehe einfach nur da und schaue sie an. Warum? Sie ist ekelhaft. Nicht mal mein Typ. Und ich bleibe einfach stehen. Bis ich dann irgendwann ging. Da war es aber schon zu spät.

Und mit Katharina werde ich wohl auch nie wieder reden können. Es fühlt sich gerade so trostlos an. Montag fange ich zum Glück mit dem Praktikum bei Alex an. Das wird mich auf andere Gedanken bringen. Die Schule ist einfach nur noch ein Ekelhaufen. Widerlich. Ich möchte weg hier.

Ich setze mich auch schon etwas früher in die Klasse. Zum Glück ist Olivia drüben im Unterricht. Aber leider auch Katharina.
„Hey. Das wird schon wieder. Katharina liebt dich, okay? Das weiß ich.“
Max ist gerade der einzige Halt, den ich habe. Diese Worte tun gerade so richtig gut. Aber sagt er es nur so oder ist da was dran?

Raina redet nicht mehr mit mir. Christopher nur spärlich. Wir wollten uns eigentlich mal alle am Wochenende treffen, bevor es ins Praktikum geht, aber irgendwie ist das total verflogen. Die Stimmung ist im Keller. Und das wegen mir.

Ich höre während des Unterrichts gar nicht richtig zu. Denke an Katharina. Wie ich mich entschuldigen kann. Kann ich das überhaupt?

Der Tag zieht heute irgendwie nur an mir vorbei. Und dann Frau Paulsen mit ihrer guten Laune:
„Na, ihr?! Freut ihr euch schon alle auf den zweiten Teil eures Praktikums? Ihr werdet bestimmt eine Menge Spaß haben.“

Nach der Stunde warte ich vor der anderen Klasse. Warte darauf, dass Katharina aufmacht und mich anlächelt. Ich sie in die Arme nehme und sowas. Schöner Gedanke.

Aber keiner macht auf.

Bis endlich .....


.... Katharina nur an mir vorbeigeht. Das tut weh.


Ich hätte es wissen müssen, was Olivia für Spielchen treibt. Mich darauf vorbereiten und kontern müssen. Sowas. Ich hätte ihr klarmachen sollen, dass Katharina meine Süße ist. Aber tja. Da ist das mit Mam noch im Hinterkopf. Ich bin im Moment sowieso schon recht sensibel. Das einzig Gute ist, dass ich mit Mam regelmäßig telefoniere. Das baut wenigstens etwas auf.
Was soll das alles jetzt? Paps hatte gestern endlich mal wieder mehr oder weniger gute Laune. Er lächelte sogar mal. Das fand ich schön. Also Hoffnung ist auf jeden Fall da.
„Hey, komm mal her. Das wird schon wieder. Ich rede mal mit ihr. Ich habe doch gesehen, was Olivia da treibt. Die Frau spinnt echt.“

„Danke, Max.“
Ich klopfe ihm auf die Schulter. Heute Abend will er mal bei mir vorbeikommen. Er ist echt ein spitzen Freund. Den brauche ich jetzt.

Später sehe ich Katharina am Automaten. Sie bemerkt mich nicht, sonst wäre sie schon lange abgehauen. Die Chance nutze ich:
„Ich liebe dich, Katharina. Das möchte ich dir nur sagen, okay? Ich liebe dich wirklich über alles.“
Und gehe weiter.

Bis ich schließlich an diesen Ort vorbeigehe, wo Katharina und ich eigentlich zusammengekommen sind. Also nein. Nicht zusammen, aber ich habe herausgefunden, dass sie das Mädchen war, was mir so ein süßes Gedicht geschrieben hatte. Ich bin seitdem Feuer und Flamme. Sowas Süßes hat noch nie jemand für mich gemacht.

Und plötzlich ist alles aus und sie hasst mich. Ich sie aber nicht. Trotzdem werde ich wohl zu einem Entschluss kommen:
„Kann ich Sie mal bei Gelegenheit sprechen, Herr Müller? Es geht um die frühzeitige Entlassung.“

Anders weiß ich einfach nicht, mir zu helfen.