- Kucki 232
Kapitel 108 - Freude und Leid liegen so nah beieinander

Isabelle gibt mir etwas Hoffnung, dass ich doch nicht so ganz allein bin. Nur, wie soll ich ihr erklären, was wirklich mit mir los ist?
„Wenn du möchtest, kannst du Tessa beim Schnitzen helfen. Vielleicht kommst du so auf andere Gedanken.“

„Nein. Ich denke nicht. Ich. Äh. Ich hätte da jetzt keine Ruhe zu.“
„Okay, ganz wie du magst. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Du sollst dich hier ja auch wohlfühlen. Dann kommt alles von ganz allein.“

„Ich sehe gerade nämlich, dass deine Überraschung eintrudelt, hihi. Ich dachte, dir würde das gefallen.“
„Ähm, wie bitte?“

„Dreh dich einfach mal um, hihi.“
Und das tu’ ich. Ich falle fast vom Glauben ab, als ich Paps sehe. Und Jenny mit Lukas? Was? Echt? Cool! Kurz ist alles vergessen.

„Na, los. Guck mich nicht so an. Geh hin. Dafür spanne ich dich nachher zum Backen ein, hihi.“
„Äh.“

Ich renne los, ohne groß darüber nachzudenken und umarme Paps, als hätte ich ihn Wochen nicht gesehen. Monate. Jahre.
„Cool. Was macht ihr denn hier? Ich. Das finde ich wirklich cool.“
Paps lasse ich nicht mehr los.

„Ich kann dir so viel zeigen und irgendwie ist das ja total cool hier. Versuche auch mein Bestes, aber es ist nicht einfach. Das gebe ich zu. Heute musste ich um 4 Uhr aufstehen und Frau Martinez kann total gut kochen und backen.“
„Okay.“

Jenny kommt zu Paps und küsst ihn. Ja, auch daran musste ich mich erstmal gewöhnen, aber jetzt finde ich es okay. Ob sie wirklich mal meine Stiefmam wird, so wie Isabelle gesagt hat?
„Ich hole schon mal die Sachen und gehe meiner Mutter Hallo sagen.“

Sie geht mit Lukas rein.
„Hey, Joel. Es tut mir leid, dass ich dich hier einfach so herverfrachtet habe. Aber ich wollte dir helfen und dann kam Jenny mit der Ranch. Wir dachten, das würde dir helfen und dann bist du wieder fit.“
„Paps? Können wir erstmal rein? Ich frier’ mir hier voll einen ab. Dachte, das wäre wärmer in dem Kaff.“
„Klar.“
Und so gehe ich total happy rein. Dass Paps hier ist, baut mich gerade so richtig auf.
Erstmal aber aufwärmen. Boah, ist das kalt.

So schlecht ist es in Chestnut Ridge ja wirklich nicht, aber plötzlich bin ich eben hier. Was würdet ihr denken, wenn ihr auf einmal irgendwo anders aufwachen würdet? Alles gewohnte verschwunden?
Doch, als ich Frau Martinez da so in der Kiste wühlen sehe, merke ich, dass nicht nur die Geisternacht ansteht, sondern auch mein Geburtstag. Gut, dieser sollte eigentlich ganz anders aussehen.

Paps schaut auch nicht schlecht, als er hier reinkommt. Auch für ihn muss das eine ganz andere Welt sein.

Diesmal bin ich sogar bereit, etwas mit anzupacken. Ich wasche Gläser ab. Cooler Anfang, oder?

Paps kommt zu mir. Ich bin immer noch total happy. Natürlich war ich erst sauer auf ihn. Aber er meint es doch nur gut mit mir. Und vielleicht hat er ja auch recht. Also er und Jenny. Vielleicht ist der Bauernhof ja wirklich eine gute Sache für mich?
Miguel hat sich vorhin auch gemeldet. Ich habe ihm von dem Vorfall erzählt. Bleibt mir ja nichts anderes übrig. Heute schafft er es zwar nicht mehr zu mir zu kommen, da es für ihn auch nicht einfach ist, hierherzukommen. Aber er bemüht sich, bald für mich da zu sein. Mir ist es recht. Paps reicht mir. Er ist ja da.

„Geht es dir denn gut hier? Du bist erstmal von der Schule freigestellt, bis es dir besser geht. Deine Lehrerin hat Verständnis. Nur das heißt, dass du auch einmal zu einem Psychologen musst. Irgendwie müssen wir das ja bestätigen können. Man kann dich ja nicht einfach so freistellen. Packst du das denn?“

Ich nicke nur.
„Und hör zu. In zwei Tagen kommen deine Mam und Michelle auch noch mit hierher. Wir haben gefragt, ob Katharina nicht auch mit möchte, aber sie hat kein Interesse. Es wäre besser, wenn du dich langsam mal bei ihr meldest. Am besten jetzt:“

Okay. Verdammt. Hmpf. Katharina. Ja, da wollte ich mich doch auch noch melden. Nein. Ich habe das total vergessen. So viel habe ich um die Ohren. Einfach mehr als genug. Plötzlich bin ich so sauer. Und dann wieder so glücklich. Und jetzt?
Ich verpiesel mich auch sofort ins Zimmer. Muss das jetzt sofort klären. Oh, nein. Sie möchte nicht zu mir kommen. Was habe ich da nur angerichtet?

Es klingelt durch.

Und klingelt.

Mein Herz klopft wie wild. Ja, auch, weil ich in sie verliebt bin. Aber es ist gerade mehr die Angst, sie könnte mich abweisen. Mir nicht zuhören. Einfach auflegen oder so.
Bis sie dann abnimmt. Ich sage erst nichts. Auch wenn ich immer kurz davor bin.

Irgendwann kommt ein vorsichtiges „Hey“ von mir.
Doch Katharina schweigt weiterhin.

„Joel, hör zu. Weißt du? Du warst den einen Tag so fies zu mir und dann verschwindest du. Gut, das nehme ich dir nicht übel....... Aber dass du mich so anschnauzt und dann nicht mit mir redest...... Weißt du, was du mir damit angetan hast? Und jetzt rufst du an? Weißt du überhaupt, wie es mir geht?“
„Äh. Ich hatte viel zu tun. Entschuldigung, dass es mir schlecht geht. Warum hast du mich denn nicht angerufen? Du weißt doch, was los ist.“
Na klar. Ich habe recht mit dieser Aussage. Aber ob sie gerade so passend ist? Trotzdem werde ich etwas wütend. Bin ich jetzt ganz allein schuld?

„Es ist gemein von dir, dass du mir jetzt unterstellst, dass ich alles falschgemacht habe. Mache mir Sorgen. Denke ständig an dich, aber du hast mir seitdem auch nicht mehr geschrieben.“
Joel, halt deine Klappe.
Wir schweigen. Ich höre, wie Katharina ihre Nase hochzieht. Es fällt ihr schwer, zu sprechen. Richtig verheult hört sie sich an.

„Joel? Es wäre besser, wenn wir uns erstmal nicht mehr sehen. Ich brauche eine Auszeit. Okay? Abstand.“
Was hat sie da gerade gesagt? Ich bekomme einen richtigen Kloß im Hals.
„Aber. Einfach so? Ohne dass wir reden? Das ist unfair.“
„Sorry. Ich kann nicht. Es tut mir leid.“
Und sie legt auf. Ich nehme das Handy langsam runter und weiß nicht, was hier gerade passiert. Wieder werde ich traurig. Wütend. Ich fange an, mich zu hassen. Mache ich wirklich alles kaputt? Sie weiß doch, wie es mir geht.

Schon wieder könnte ich schreien. Wieder fängt meine Hand an zu kribbeln. Aber nein, diesmal lasse ich es nicht zu. Nicht noch einmal.

Also gehe ich raus. Zu Paps. In Sicherheit. Ich weiß, dass er da ist. Nochmal raste ich nicht so aus. Doch bleibe ich nur so da stehen und schließe meine Augen. Eine Träne kullert.

Und so drehe ich mich einfach um und falle ihm in die Arme. Lasse alles raus.
„Es tut mir leid, Joel. Aber es wird wieder. Ihr müsst nur ordentlich reden.“
„Paps, ich.“
„Alles gut.“

Nur dann löse ich mich und denke an das, was auf mich zukommt. Aber auch an Katharinas Lächeln. Ja, ich weiß, dass alles wieder gut wird. Doch, ich werde nur einmal 18. Und das lasse ich mir nicht vermiesen. Nicht jetzt. Es ist ja dann immerhin nicht nur mein Geburtstag.
Wenn ich dann wieder in Willow Creek bin, dann gehe ich sofort zu Katharina. Alles wird gut. Ich bin einfach noch nicht bereit zum Reden, ohne irgendwas noch schlimmer zu machen.

Ich muss mich erstmal um mich kümmern.

Und dieser Ort wird mir helfen.
