- Kucki 232
Kapitel 115 - Schlachtplan

Ja, ich weiß, ich denke zu viel nach. Was einem dann auch gern mal den Tag vermiesen kann, wie man gestern gesehen hat. Nun gut. Auch ich habe mir das alles etwas anders vorgestellt. Ich möchte endlich wieder arbeiten und wenn ich daran denke, dass sich nicht mal meine Mandanten an mich erinnern, genauso wenig wie ich das bei ihnen tu, dann ist hier ganz und gar was faul. Und das möchte ich heute klären.
Isabelle ist schon in der Küche zugange. Ja, sie tut mir mit am meisten leid. Neben Joel. Keiner weiß so richtig, wo er ansetzen soll. Vielleicht wäre es ein Anfang, ihr jetzt einfach beim Aufräumen zu helfen? Einen schönen Start hatten wir leider noch nicht hier.

Wir reden zwar nicht wirklich, aber das wird sich hoffentlich nachher ändern. Ich habe die Schnauze voll. Eigentlich wollte ich mich bei Isabelle ja ganz anders vorstellen. Irgendwann mal.

Außerdem bemerke ich, dass das Licht hier nicht so richtig funktioniert. Werde ich mir nachher mal anschauen.

Was aber trotzdem gestern sehr schön war, war, dass wir doch einigermaßen alle zusammen sein konnten. Das hat mir gefehlt. Ich hätte es mir nicht verzeihen können, wenn Joels Geburtstag den Bach runtergegangen wäre. Und als dann noch Katharina vor der Tür stand, war alles vergessen. Auch wenn sich dadurch neue Probleme geschaffen haben.

Jenny hat mich ebenfalls ein bisschen zurück ins Leben geholt. Ja, ich weiß. Ich habe ordentlich übertrieben. Tun wir das aber nicht gerade alle ein bisschen? Daran bin nicht ich allein schuld.
„Morgen. Schön. Du kannst wieder lächeln. So gefällst du mir gleich viel besser, hihi.“
Nur, selbst mit ihr kann ich meine Zeit nicht in Ruhe verbringen. Es geht alles drunter und drüber.

Und da sitzen wir wieder. Jeder will was erzählen, aber keiner weiß, wo er anfangen soll. Obwohl ich eigentlich der bin, der für alles eine Lösung hat.

„War doch gestern eine schöne Party. Also, ich fand sie schön und das mit Katharina war so süß.“

„Okay, alles klar. Hört zu. Ich habe mir das hier eigentlich alles ganz anders vorgestellt .....“
Ah, dann sind wir ja schon zwei. Wunderbar.
„........ Ich habe mir das nun mal mit ihrem Vater hier alles aufgebaut. Mit Herzblut. Ich liebe diese Ranch und nichts wird mir das jemals kaputtmachen. Könnt ihr das verstehen?“

„Ich vermisse deinen Vater sehr. Jeden Morgen stehe ich auf und er ist nicht da. Und dann höre ich hier irgendwas von Magie und Erinnerungen, die verschwinden. Meint ihr, ich hätte Freude daran, mein Leben zu vergessen?“

Isabelle fängt an zu weinen.
„Ich freue mich total für euch und ich freue mich genauso, dich näher kennenzulernen, Marc. Und Joel natürlich auch. Doch ist mir trotzdem alles zu viel. Ja, auch die Ranch ist mir mittlerweile zu viel.“
„Komm mal her, Mama. Wir bekommen das hin. Mit Marc hier im Haus wird das. Er wird dich unterstützen. Wie wir alle. Ich bin ja so froh, dass du uns aufgenommen hast. Sorry, dass alles gerade so schnell geht.“
Beide stehen auf.

„Und deswegen werde ich gleich Kucki suchen. Es wäre schön, wenn sie erstmal hierbleiben kann, bis sich alles beruhigt hat. Es ist ja nicht nur sie, sondern auch Emily und Michelle. Emilio. Katharina und ihre Oma. Sie können doch nicht ewig im Hotel bleiben. Wir brauchen einen Schlachtplan.“

Es ist echt alles so wirr. Durcheinander. Selbst Emily weiß nicht mehr, wo sie wohnt. Aber warum wir? Warum wissen wir noch, dass unser Haus in Willow Creek ist? Aber eben, was uns erwartet, nicht mehr. Ich hoffe, Kucki kann uns da wieder raushelfen.
Schnell wasche ich ab und dann mache ich mich auf die Suche. Egal.

Vielleicht finde ich sie beim Joggen. Heute ist Winteranfang. Ein bisschen wäre es mir lieber gewesen, wenn wir im Sommer hier angekommen wären. Richtig kalt ist es und so viel muss gemacht werden.

Ich finde Kucki unterwegs jedoch nicht.
Später ruft uns Isabelle zu sich. Es ist immer noch dunkel. Das Bett wäre mir gerade doch lieber.
Wir gehen zum Pferdestall, wo Isabelle vorsteht.

„Was ist denn los?“

„Nun ja. Schau in den Stall rein. Kucki hat es uns nicht wirklich schwer gemacht.“
Als ich reinschaue, sehe ich sie in der Ecke sitzen. Sie war die ganze Zeit hier?

Ich gehe rein und sie beobachtet jeden Schritt von mir. Wie eine Ahnin sieht sie aber nicht gerade aus mit der Mütze. Irgendwie muss ich schmunzeln.

„Hey. Komm mit rein und wärm dich auf. Es tut mir leid. Ich habe mit Isabelle gesprochen und du kannst erstmal bleiben, bis wir eine andere Lösung gefunden haben. Selbst wir sind ja hier einfach so reingeplatzt.“

Sie lächelt nur und folgt uns schweigend.

Und so setzen wir uns alle mal an einen Tisch und überlegen uns was. Geht doch.
„Also, ich wollte nicht falsch rüberkommen oder so. Oft überlege ich nicht, was ich sage und meine es doch gar nicht böse. Es ist auch für mich alles schwierig. So viele Jahrhunderte bekommt man mit, wie immer wieder alles zerfällt und diesmal habe ich überhaupt keine Hoffnung mehr.“

„Schlägst du es dir aber aus dem Kopf, dass du diese Ranch aufgebaut hast? Ich habe keine Ahnung, wer du bist, aber ich weiß noch ganz genau, wie WIR das erste Mal hier den Hammer angesetzt hatten und den ersten Nagel ins Holz schlugen. Nicht DU.“

„Und dass wir hier sitzen, haben wir trotzdem dir zu verdanken. Du hast zugesehen, dass unsere Familie zusammenbleibt. Danke, dafür. Auch wenn nicht immer mit den besten Mitteln, aber wir blieben zusammen. Und jetzt liegt es an uns, dir zu helfen.“

„Trotzdem ist die Frage, was wir hier machen? Ich kann nicht auch noch die anderen bei mir aufnehmen. Wie stellt ihr euch das vor?“

Joel kommt zu uns. Er ist noch nicht wirklich wach und platzt direkt in das Gespräch mit rein.

Die anderen Male waren nicht so kompliziert. Klar, wir mussten uns alles wieder aufbauen, doch dann war alle gut. Jeder machte sein Ding. Aber heute ist es anders. Wir hängen hier in Chestnut fest. Niemand kennt uns mehr. Wir kennen niemanden mehr.
„Weißt du, Marc? Ich bin das erste Mal in meinem Leben ein Sim, wie jeder andere auch. Ich kann ja arbeiten gehen. Nur muss ich mir eine Identität überlegen. Ich kann ja schlecht sagen, dass ich hundert Jahre oder älter bin und nicht mal weiß, wie ich richtig heiße, hihi. Und derweil unterstütze ich Joel. Was meinst du?“

„Und ich sage euch: Wir müssen jetzt endlich anfangen und uns nicht immer nur streiten. Herrje. Davon wird es auch nicht besser. Joel muss lernen, mit seiner neuen Gabe klarzukommen. Nur weil es jetzt die Tage gut lief, heißt das nicht, dass jetzt alles gut ist. Er muss seine Emotionen unter Kontrolle bringen, sonst fliegt auch noch ganz Chestnut in die Luft. Joel ist eine tickende Zeitbombe. Und jetzt stellt euch mal vor, wir hätten alle Erinnerungen verloren und der Junge wäre auf sich allein gestellt.“

„Wir müssen uns überlegen, wie wir da draußen wieder sichtbar werden können. Wie wir das Tor öffnen. Alles wieder ins Gleichgewicht bringen. Denn, ich weiß nicht, ob ihr es schon mitbekommen habt, aber wir haben nur diese eine Hoffnung. Und die sitzt da vorn und ist 18 Jahre alt.“

„Okay. Dann fangen wir doch an. Ich melde mich als Privatdetektiv für Chestnut und vielleicht läuft es ja gut. Und, wolltest du nicht wieder Musik machen, Jenny?“

Und so reden wir das erste Mal und überlegen uns wirklich was, ohne uns an die Kehle zu gehen. So kann es nicht bleiben. Joel muss doch irgendwann wieder in die Schule gehen? Er verliert gerade so viel in seinem Leben, nur weil alles in seiner Hand liegt?

„Okay, hihi. Ich wurde nämlich letztens gefragt, ob ich nicht Lust habe, auf eine kleine Tournee zu gehen. Also wirklich nur was Kleines. Und das kann uns ja auch helfen.“

„Äh, Moment. Tournee? Davon hast du mir nie was gesagt.“

„Leute. Stopp! Bevor wir hier über Tournee reden und so, müssen wir andere Dinge unter Kontrolle bekommen. Irgendwann möchte ich meine Erinnerungen wiederhaben und Miguel helfen. Und es gibt eigentlich nur einen Sim, der das noch schaffen könnte. Ich weiß ja nicht, ob ihr es schon mitbekommen habt..... Kommst du mal bitte mit, Joel? Ich möchte den anderen was zeigen.“
Kucki und mein Sohn stehen auf. Wenn Joel dann nicht fast im Stehen einschlafen würde.
„Kannst du mal bitte dein Oberteil ausziehen? Geht das?“

Als Joel sein Oberteil auszieht, staune ich nicht schlecht und komme sofort dorthin. Was für ein Mal ist das denn? Wo ist das andere? Was hat das zu bedeuten?

„Hm? Was habt ihr denn? Was ist denn da?“
„Nur Joel kann uns helfen. Egal, was wir hier in Chestnut versuchen: Woanders sind wir ein Niemand. Nur er kann das ändern. Dieses Zeichen, das er hat, gab es noch nie. Das Mal von vier Blutlinien. Ja, richtig gehört. Vier. Er trägt einfach alles in sich. Selbst die mächtigen Zauber der Ahnen. Der Weisen. Schwarze Magie. Weiße. Alles. Und solange wir hier diskutieren und streiten, wir seine Macht immer unberechenbarer. Daher sollten wir erstmal Joel helfen. Denn ohne ihn wird gar nichts klappen.“

„Verliert der Junge nämlich das nächste Mal die Kontrolle, dann war es das.“
So still war es bei uns in den letzten Tagen und Monaten noch nie.