- Kucki 232
Kapitel 116 - Du bist schuld

Nach einem gelungenen Geburtstag bin ich bereit für alles andere. Kucki möchte heute mit mir trainieren, damit ich meine Wut unter Kontrolle bekomme. Ja, es ist wirklich so. Manchmal fühle ich mich, als könne ich Bäume ausreißen, so stark bin ich. So ist es aber auch, wenn ich traurig bin. Es ist also so verschärft irgendwie. Aber warum? Ich habe ja nicht mal eine Ahnung, was da auf meinem Rücken ist. Also, was das bedeutet. Gesehen habe ich es ja. Und es sieht irgendwie cool aus.
„Du musst mir noch erklären, was ich da auf dem Rücken habe. Ist das gefährlich? Möchte niemandem wehtun.“

„Ist das okay, wenn wir erstmal trainieren? Dann erkläre ich dir gern alles.“

„Und wenn du dann fit bist und alles unter Kontrolle hast, dann habe ich Großes mit dir vor. Du kannst so viel Neues aufbauen. Die Welt retten. Klingt das gut?“

„Man kann die Magie nun mal nicht einfach in eine Kette stecken und denken, dass damit nun alle Probleme weg sind. Du siehst ja, was passiert. Das ist so, als wenn du versuchen würdest, den Tod zu umgehen. Das kann man nicht. Wenn der Sensenmann sagt, es ist jetzt so weit, dann ist es eben so weit. Komm! Wir dürfen keine Zeit vergeuden. Ich habe oben schon alles vorbereitet. Vielleicht glaubt mir Isabell dann ja endlich mal, dass ich das hier alles aufgebaut habe.“
Wir gehen nach oben. Hier soll noch keiner hin, da Kucki eine Überraschung für meinen Paps hat.
Wow. Wie hat sie das so schnell hinbekommen?
„Ob sich dein Paps hier wohlfühlen wird?“
„Äh.“

„Ich wollte ihm eben was richtig Cooles aufbauen, damit er der beste Detektiv von Chestnut wird, hihi. Am besten reitet er dann noch auf dem Pferd zu seinen Mandanten, hihi.“

„Aber erzähl ihm bitte noch nichts davon. Okay. Nun gut. Wollen wir anfangen? Du hast einen langen und steinigen Weg vor dir, aber das bekommen wir hin. Das Tolle ist, dass ich Cecilia sogar gut gebrauchen kann. Wusstest du, dass du damals mit ihr durchs Tor solltest? Sie hat unserer Familie schon sehr geholfen. Okay. Egal. Bist du bereit?“

„Habe ich eine andere Wahl?“
„Hmpf. Zieh dir mal was anderes an. Und dann komm wieder hoch. Ich mache so lange dann hier im Büro weiter. Das wird so toll. Dein Paps wird es lieben.“
Na ja. So ganz begeistert bin ich von der ganzen Sache nicht. Manchmal habe ich total Bock drauf, was Neues zu sein. Was anderes. Und dann weiß ich plötzlich wieder nicht, was jetzt so besonders an mir sein soll? Will einfach nur meine Ruhe haben und wieder zur Schule gehen.
Ein paar Minuten später komme ich wieder nach oben. Kucki sitzt am Schreibtisch und schiebt einige Sachen zurecht.

„Und was soll ich jetzt machen?“
„Äh, da durch die Tür und dann folge meinen Anweisungen. Setz dich da auf das Kissen und halte deinen Zeigefinger mit dem Daumen zusammen.“
„Äh, wie bitte? Echt jetzt?“
Ich gehe in einen kleinen Raum, wo lediglich ein Kissen auf dem Boden liegt. Wunderbar. Was soll das denn jetzt für eine Therapie sein? Voll dumm. Ne. Ohne mich.
„Joel? Hinsetzen! Und dann schließe deine Augen und mach halt. Wenn du wütend bist, dann ist das das Erste, was du machen wirst, klar? Hab keine Lust darauf, dass du mir explodierst.“
„Okay, okay.“
Also setze ich mich hin und mach den Quatsch halt.

Kucki fängt irgendwas an zu summen.
„Das ist doch albern.“
„Halt die Klappe und konzentriere dich. Kein Mimi, ja?“
„Nö.“
„Joel? Diskutier nicht mit mir, auch wenn ich keine Macht mehr habe. Ich kann dir trotzdem in den Hintern treten.“
„Boah. Ja, Mann. Dann mach´ ich das halt.“
Und so schließe ich die Augen und halte halt die blöden Finger zusammen. Keine Ahnung, was das bringen soll. Sie fängt wieder an, zu summen.
Plötzlich werde ich mitgerissen. Das Summen ist immer weiter weg und ich fühle mich, als wäre ich total leicht. Hätte nie gedacht, dass das irgendwas bringt.

Dann fängt sie an, zu sprechen.
„Stell dir nun vor, du bist auf einer grünen Wiese. Unter einem Baum. Stell dir vor, es riecht richtig nach Gras. Du spürst den Wind. Etwas kühl, aber auch angenehm.“

Und so geht das gefühlt noch 20 Stunden. Aber okay. Ich habe mal kurz alles vergessen. Schlechter Scherz eigentlich, wenn ich bedenke, dass ich wirklich so einiges vergessen habe.
Kucki hat sich selbst die Mühe gemacht, hier einen kleinen Trainingsraum nach und nach aufzubauen. Ob Isabell davon weiß? Das würde ordentlich böses Blut geben.
„Okay, Joel. Auf zur nächsten Station. Wenn du wiederum merkst, dass du Sorgen hast und nicht weißt, wo du deinen Frust rauslassen sollst, dann hau lieber in den Sandsack, als irgendwas in die Luft zu sprengen. Das ist wichtig. Zieh dich sofort zurück, wenn du merkst, dass du es nicht mehr aushältst.“

„Bereit?“
„Äh, klar. Aber mit dem Sandsack kenne ich mich schon aus. Da brauchst du mir nicht helfen.“

„Nur, was ist, wenn ich irgendwo in der Pampa bin und plötzlich wütend werde? Ich nehme bestimmt nicht immer dieses Kissen mit oder gar den Sandsack.“

„Bis dahin sind wir schon viel weiter und dann kommst du ohne Probleme damit klar. Hoffe ich zumindest. Ich bin ja auch gerade schon dabei, alte Folianten zu suchen. Gar nicht so leicht, wenn deine Mam vieles verbrannt hat. Aber so weit sind wir jetzt noch nicht. Denk jetzt bitte an irgendwas, was dich total aufregt. So richtig.“
Ich gehe zum Sandsack und überlege. Okay, heute geht es mir eigentlich ganz gut, aber hmm. Was macht mich wütend? Dass ich meine Erinnerungen an Willow Creek verloren habe? Hm.

„Mir fällt nichts ein?“
„Da muss aber was sein.“

Und dann plötzlich:
„Bäääääääh. Jaaaa, na klar. Ich hasse das hier alles. Ich will so nicht sein. Das Leben ist scheiße, so. Als wenn ich die Welt retten könnte. Schwachsinn. Meinetwegen ist das jetzt alles so.“
Ich trete voll in den Sandsack rein.

„Ich will so echt nicht leben. Will ein normales Leben führen. Klar? Und ich hasse das alles. Echt. Ich verliere alles.“

„So ein Bullshit. Ich hasse es, morgens um vier aufzustehen. Ich will Detektiv werden und keine Kühe melken.“

„Okay, okay, Joel. Geht es dir besser? Auf jeden Fall weißt du jetzt erstmal Bescheid, was zu tun ist. Natürlich liegt viel an dir, aber ich weiß, dass du es schaffen wirst. Ich bin bei dir. Hören wir erstmal auf für heute. Wollte dich ja erstmal auf das vorbereiten, was auf dich zukommt. Wir haben viel vor uns.“
In dem Moment klingelt es auch an der Tür. Ich gehe runter und sehe, dass es Katharina ist. Da muss ich direkt lächeln. Ich brauche kein Sandsack oder so ein Kissen. Ich habe meine Freundin. Das reicht mir.

Ich bitte sie herein. Okay, sie lässt den Kopf hängen. Mann, ja. War ein bisschen viel in der letzten Zeit, aber wichtig ist doch, dass wir zusammen sind.

Und dann dieser Unterton.
„Hallo, Joel. Und? Wieder dabei, die Welt zu zerstören?“
Was ist denn jetzt mit ihr los? Sie schaut mich total biestig und wütend an. Gestern war doch alles noch gut.

Plötzlich fängt sie an, mich zu schubsen. Jetzt weiß ich echt nicht mehr, was sie für ein Problem hat. Als wäre für mich schon alles einfach genug.
„Du bist schuld. Du hast mir nicht gesagt, dass ich meine Erinnerungen verliere. Deinetwegen Blödmann habe ich keine Familie mehr. Kein Zuhause. Du bist so ein egoistischer Arsch. Ich hasse dich.“
Jetzt fängt sie auch noch an zu weinen. Okay. Aufwachen, Joel. Besser ist das gerade.

„Meine Oma ist auch total deprimiert und wir wissen nicht, was wir machen sollen. Du bist so böse und denkst nur an dich. Von wegen, es wird schon alles gut. Nichts wird gut. Ich verliere alles. Meine Freunde. Wer sind meine Freunde? Wo ist meine Familie? Du hast alles kaputtgemacht.“
Katharina schubst mich immer doller.

„Wegen dir habe ich mein Leben verloren. Ich dachte, dass zwischen uns ist was Besonderes. Aber dir ist doch alles egal. Du wusstest es doch, dass ich alle Erinnerungen verlieren würde. Holst mich aber trotzdem zu dir?“

Ich bin gerade mehr überrascht als alles andere. Finde keine Worte, aber versuche auch zugleich, ruhig zu bleiben. Nein, jetzt nicht ausrasten. Ruhig bleiben. Sie hat ja recht. Ich habe nicht nachgedacht. Verdammt. Niemals hätte ich sie mit reinziehen sollen. Ihr Leben wäre weitergegangen. Nur ohne mich.
„Du bringst das wieder in Ordnung. Und wehe nicht. Das würde ich dir nie verzeihen. So ein Egoist.“
„Katharina, hör auf. Bitte.“

„Nö. Du sollst ruhig sehen, wie ich dich jetzt hasse. So ein Widerling. Ich will mit dir nicht mehr zusammen sein. Verschwinde. Ich habe doch eh schon alles verloren.“
„Was?! Ich.....“
Und langsam steigt dieses Gefühl wieder auf. Wut. Traurigkeit. Hass. Nein, das darf jetzt nicht passieren. Hilfe. Ich weiß nicht weiter.

Plötzlich fängt meine Hand wieder an zu glühen. Mehr als je zu vor. Meine Freundin verletzt mich gerade so sehr, dass ich nur noch schreien könnte. Richtig laut. Einfach los. Was passiert hier? Katharina! Bitte nicht! Immer weiter schubst sie mich.

In dem Moment kommt Kucki rein. Sie schaut mich nur an und schüttelt mit dem Kopf. Deutet an, ich soll aufhören.

„Katharina. Hör auf. Lass ihn. Geh bitte.“
„Nichts werde ich. Er soll spüren, wie es ist, alles zu verlieren. Er hat doch noch seine Familie. Und ich?“
„Geh bitte.“
Auch wenn es mir gerade sehr schwerfällt, versuche ich tief durchzuatmen. An was Schönes zu denken. Ich bin gerade so froh, dass Kucki dazwischenkam.

„Ihr müsst euch jetzt zusammenreißen. Es bringt doch nichts, wenn du ihn jetzt so fertigmachst.
Und Joel? Du gehst schon mal nach oben. Ich komme gleich nach. Verdammt nochmal. Es wird doch schwieriger, als ich dachte.“

„Bring das wieder in Ordnung. Joel. Es ist aus. Ich will mit deinem magischen Desaster nichts mehr zu tun haben.“
Ich schaue sie nur an und glaube immer noch, dass ich träume. Mein Hals wird gerade ordentlich zugeschnürt. Bin ich wirklich an allem schuld?

Kucki macht ihr die Tür auf und Katharina verschwindet wortlos. Und ich stehe immer noch versteinert da. Gerade schießen so viele Gedanken durch den Kopf.

Nein. Ich darf jetzt nicht ausrasten. Und so gehe ich wieder nach oben. Was auch immer ich angerichtet habe: Ich muss eine Lösung finden. Nur wie?
