- Kucki 232
Kapitel 95 - Glimmerbrook

Jetzt, wo das Tor näher rückt, werde ich immer nervöser. Nicht nur, weil ich meinem Schicksal näherkomme, sondern weil Katharina jetzt noch mit dabei ist. Ich möchte nicht, dass ihr irgendwas passiert. Und dann überlege ich die ganze Zeit, wen ich noch mit zum Tor nehmen soll. Das kann doch jeder sein. Wie soll ich das bitte erkennen?
Als wir losgehen, ist die Stimmung auf jeden Fall sehr bedrückt. Es herrscht Stille, wie auf einem Friedhof.
Mit dem Auto müssen wir wohl noch eine Weile fahren. Um die Ecke ist Glimmerbrook nicht gerade. Dort sollen nur noch Ruinen sein und viele Sprayer sind dort unterwegs. Obdachlose. Sowas. Aber ich dachte, Glimmerbrook wäre hinter dem Portal?

Ich weiß nicht, wie lange wir fahren, aber es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Die ganze Zeit schaue ich eigentlich nur aus dem Fenster und stelle mir vor, was mich dort erwartet. Es wird auch weiterhin nicht viel geredet. Katharina ist bei mir und bemerkt, dass ich Angst habe. Sie hält die ganze Zeit meine Hand. Lächelt oder legt ihren Kopf auf meine Schulter.
Schließlich bleibt Paps stehen und wir müssen noch ein wenig gehen.
Auf einer Brücke bleiben wir stehen. Besonders Mam wir sich langsam immer unsicherer. Meine Eltern müssen viele Erinnerungen an diesen Ort haben.
„Wir sind da. Das ist Glimmerbrook. Also war es mal.“
Diese Stille ist gruselig.

Eine schöne Gegend ist es trotzdem. Vereinzelt hören wir die Vögel zwitschern oder die letzten Schmetterlinge rumfliegen. Aber ansonsten fliegen Blätter über die Straße und mehr tut sich auch nicht. Eine richtige Geisterstadt. Mam geht vorweg.

Ich schaue mich um und sehe vereinzelt zerstörte Häuser. Die Landschaft jedoch ist der Hammer. Hier wäre ich gern mal allein mit Katharina. Irgendwo in der Ferne höre ich einen Wasserfall. Trotzdem habe ich Gänsehaut. So richtig Gänsehaut. Allein hätte ich hier so richtig Schiss.

Wir bleiben stehen.
„Glimmerbrook hatte die ganzen Dimensionen miteinander verbunden. Nicht jeder kam durch das Portal, aber so konnten wir Kontakt mit den anderen halten. Verzerrte Welten, waren das. Ein anderes Ich von jedem lief dort rum. Jeder mit verschiedenen Persönlichkeiten. Aber irgendwo waren es immer wir. Nun ist unsere Dimension die einzige“, erklärt Mam.
„Wie viele Dimensionen gab es?“

„Drei. Für jede Blutlinie eine. Aber schwarze Magier hatten diese Dimensionen missbraucht. Es heißt sogar, dass Ebenbürtige die ganzen Dimensionen erschaffen hatten.“

Katharina und Paps schweigen. Gut, ihm kann ich es nicht verübeln. An was er wohl gerade denkt? Meine Freundin wiederum schweigt und genießt. Weiter geht es.

Bis diesmal Paps derjenige ist, der stehenbleibt.
„Du hast mir erzählt, dass du Erinnerungen von einem weißen Haus hattest. Das stand hier. Deine Uroma, war nach langer Zeit die erste Magierin eurer Blutlinie und sie musste sich entscheiden, ob sie ihre Familie vergessen und im magischen Reich lebte oder ob sie das mit ihrer Familie durchstehen möchte.“
Mich wundert das echt, was er für ein Wissen darüber hat.
Hm, stimmt. Das weiße Haus. Wo die Kinder davor waren. Ja. Da war irgendwas. Hauptsache der Briefkasten steht noch, haha.

Katharina steht ganz verträumt da. Ich hoffe, dass ihr das nicht alles zu viel wird. Vielleicht war sie ja schon mal an diesem Ort. Von hinten schleiche ich mich an.
„Hey, alles gut? Du bist so ruhig.“
„Ja, alles gut. Es ist nur gerade faszinierend. Wollte schon immer mal hierher und jetzt stehe ich hier.“

Deswegen. Die Zeit muss gerade sein.
„Ich lieb´ dich.“
„Ich dich auch.“
Und Mam dann so:
„Ihr seid wirklich total süß zusammen. Niedlich, hihi.“
Waaah? Niedlich? Sie tut so, als wären wir 12 oder so.

Schließlich gehen wir weiter. Die Gedanken wieder überall. Und dann diese trostlose Stimmung in der Runde. Keiner sagt was. Als wäre das nicht alles schon gruselig genug. Der Ort fühlt sich irgendwie normal an, aber irgendwie auch nicht. Es ist was anders. Kann es aber nicht beschreiben.

Meine Hände fangen langsam an zu zittern. Nein, nicht wegen der Kälte. Es ist. Hmm. Keine Ahnung. Als ob ich gerade nachts über einen Friedhof gehe, nur dass es eben hell ist.
Wir bleiben stehen.
„Da unten ist das Portal. Viele haben seitdem versucht, dort durchzugehen, aber kamen einfach nur am anderen Ende wieder raus“, erklärt Mam.

Als wir weitergehen, sehe ich auch etwas dahinten. Irgendwelches Schimmern. Ist es das Tor aus meinen Erinnerungen? Ich hätte nie geglaubt, dass die Bilder dann so real sind. Schon heftig. Jetzt bin ich neugierig. Ich muss einfach schnell weitergehen.

Tatsache. Wow. Unglaublich. Es sieht so alt aus. So. Hmm. Magisch, haha. Und da stand einst mein ...ähm .....Uropa vor? Krass. Wie lange ist das her?

Und plötzlich fängt auch alles an, unwirklich zu wirken. Als ob hier irgendwas verborgen ist. Etwas, äh .... Ich sage ja, dass ich das nicht beschreiben kann. Ich brauche mir allein nur diesen Pilz anschauen. Sowas wächst niemals bei uns.

Ich habe es immer eiliger. Ganz schnell muss ich da jetzt hin. Im Schlepptau alle anderen. Endlich ist es so weit. Ob ich auch am anderen Ende wieder rauskomme und alles umsonst war? Das wäre öde. Hey, irgendwas muss doch jetzt passieren. Irgendwas Episches. Und da ist auch dieser Wasserfall, den ich gehört habe. Wow. Wo führt er hin?

Nach hinten schaue ich nicht mehr. Jetzt oder nie. Ich möchte einfach nur noch durchgehen. Hmpf. Jetzt habe ich doch wieder ordentlich Schiss. Äh. Puh. Nachher komme ich total zerfetzt hinten raus. Wie so ein Fleischwolf ist das Ding dann, haha. Oder ich werde in einen Strudel gezogen. Ein Strudel ins Endlose. Krass.

Ich vergesse alles um mich herum. Bin nur noch auf dieses Tor fixiert. So megacool. Echt krass.

„Joel?“
Ich zucke zusammen. Uff. Wo war ich denn gerade?
„Sei bitte vorsichtig, ja? Ich möchte nicht, dass dir was passiert.“
„Mir wird nichts passieren. Du hast ja gehört, dass alle einfach nur hinten wieder rauskamen. Wird bestimmt nicht anders sein.“
Natürlich möchte ich sie nur beruhigen und nicht zeigen, was ich für eine Angst habe. Aber ich bin einfach zu neugierig. Mam und Paps stehen auch nur da. Was sollen sie jetzt auch machen, außer mir zu sagen, dass ich vorsichtig sein soll? Sie scheinen selbst in Erinnerungen zu schwelgen. Starren das Tor an und schweigen eben.

Okay. Ein bisschen wackelig bin ich doch auf den Beinen. Nicht, dass ich plötzlich wieder diese Erinnerungen bekomme. Seit vorgestern habe ich keine mehr so richtig. Ab und an immer mal ein Bild vor Augen, aber das war’s. Die Stimme ist ganz verschwunden. Vielleicht komme ich ja auch zu spät? Keine Ahnung. Wird sich gleich herausstellen. Okay. Zu spät, für was auch immer.

Als ich meine Hand durch dieses Schimmern ziehe, fühlt diese sich plötzlich total kalt an. Es kribbelt und Funken entstehen. Also keine Funken, wie bei einem Feuer. Und als ich dann ein Stück weitergehe, fühlt es sich so richtig krass an. Als ob man gerade ins Nirgendwo gezogen wird. In sekundenschnelle.
Tja. Und dann lande ich hier. Überall diese Regenbögen. Diese Funken. Wow. Wo zum Geier bin ich? Als ich mich umdrehe, sehe ich Mam und Paps nicht mehr. Katharina ist auch verschwunden. Wo zum Geier bin ich? Bin ich einfach nur hinten durch und die anderen sind mal eben so nach Hause, oder bin ich wirklich in einer anderen Welt?
Neben mir sehe ich plötzlich eine Hand aus dem Tor kommen. Äh. Was zum?
„Katharina? Was suchst du denn hier? Hat das nicht geklappt? Bin ich immer noch in unserer Welt?“
„Ich weiß nicht.“

Ich schaue mich um und es fühlt sich wie ein Traum an. So federleicht. Unwirklich. Natürlich merke ich, dass Katharina irgendwie da ist, aber es zieht mich weg. Ich fange mich langsam nicht mehr an zu fragen, warum sie hier ist. Es passiert einfach. Als ob es so sein soll. Oder träume ich etwa doch?
